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Die Monatszeitschrift Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr.Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff In dieser Ausgabe: Die auch unter www.juris.de Topthema: Zum Verbot islamistischer Vereinigungen und von Unterstützervereinen RiBVerwG Prof . Dr . Harald Dörig Crowdfunding – Tatsachen und Rechtsfragen einer neuen Finanzierungs- methode für kommunale Infrastrukturprojekte Wiss. Mit. Sonja Kay, LL.M., M.Sc. Urlaubsabbruch (nur) in Extremfällen? VRiLAG Reinhard Schinz Die geplanten Neurege- lungen zur „Bekämpfung der Korruption im Gesund- heitswesen“ – eine kri- tische Übersicht Prof . Dr . Marco Mansdörfer M 5 MAI 2016

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Die Monatszeitschrift

Herausgeber:Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

In dieser Ausgabe:

Die auch unter www.juris.de

Topthema:

Zum Verbot islamistischer Vereinigungen und von UnterstützervereinenRiBVerwG Prof. Dr. Harald Dörig

Crowdfunding – Tatsachen und Rechtsfragen einer neuen Finanzierungs-methode für kommunale Infrastrukturprojekte Wiss. Mit. Sonja Kay, LL.M., M.Sc.

Urlaubsabbruch (nur) in Extremfällen?VRiLAG Reinhard Schinz

Die geplanten Neurege-lungen zur „Bekämpfung der Korruption im Gesund-heitswesen“ – eine kri-tische ÜbersichtProf. Dr. Marco Mansdörfer

M 5 MAI

2016

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INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Expertengremium:Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

Crowdfunding – Tatsachen und Rechtsfra-gen einer neuen Finanzierungsmethode für kommunale InfrastrukturprojekteWiss. Mit. Sonja Kay, LL.M., M.Sc. S. 178

Beschaffenheitsvereinbarung außerhalb der notariellen UrkundeBGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14Prof. Dr. Michael Jaensch S. 185

„Patentlösung für trockene Keller“ – „wasserdichte“ Wege zum Rücktritt bei FehlschlägenOLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.01.2015 - I-22 U 154/14Marie Herberger S. 187

Digitaler Nachlass: Zugang der Erben zum Facebook-NutzerkontoLG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 - 20 O 172/15RA und FA für IT-Recht Wolfgang Kuntz S. 190

Urlaubsabbruch (nur) in Extremfällen?VRiLAG Reinhard Schinz S. 193

Mit Regen ist zu rechnen – zur Absage des BSG im Beitragsrecht an eine „Schön-wetter-Selbstständigkeit“BSG, Urt. v. 29.07.2015 - B 12 KR 23/13 RRiLSG Christian Stotz S. 199

Zum Verbot islamistischer Vereinigungen und von UnterstützervereinenRiBVerwG Prof. Dr. Harald Dörig S. 203

Prüfung ohne Prüfungsordnung – zur Anwendbarkeit einer Hochschulprüfungs-ordnung vor BekanntmachungBVerwG, Beschl. v. 27.01.2015 - 6 B 43/14Dr. Stefan Danz, Justiziar S. 208

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Arbeitsrecht

Sozialrecht

VerwaltungsrechtTopthema:

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Die Monatszeitschrift

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Die Monatszeitschrift

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

INHALT

Doch keine Aufteilbarkeit der Kosten für ein häusliches ArbeitszimmerBFH, Beschl. v. 27.07.2015 - GrS 1/14VRiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel S. 211

Die geplanten Neuregelungen zur „Be-kämpfung der Korruption im Gesundheits-wesen“ – eine kritische ÜbersichtProf. Dr. Marco Mansdörfer S. 213

Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum euro-päischen ArbeitsrechtPräsLAG a.D. Dr. Peter Bader S. 219

Gräber, Finanzgerichtsordnung mit Nebengesetzen, KommentarVRiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel S. 219

Steuerrecht

Strafrecht

BÜCHERSCHAU

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EDITORIAL

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff,Hamburg

Das Grundgesetz ist nicht wertneutral, sondern entschei-det sich für zentrale Grundwerte und gibt dem Staat auf, diese zu sichern und zu gewährleisten. Es trifft Vorkehrun-gen gegen deren Bedrohung, institutionalisiert besondere Verfahren zur Abwehr von Angriffen auf die verfassungs-mäßige Ordnung und konstituiert damit eine wehrhafte De-mokratie (vgl. BVerfGE 39, 334, 349). Die Aufgabe der Ab-wehr von Gefahren für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist derzeit aktuell wie seit langem nicht. Davon zeugt nicht nur das momentan vor dem Bundesver-fassungsgericht anhängige NPD-Verbotsverfahren. Auch die spätestens seit den Terroranschlägen von Paris (Januar und November 2015) und Brüssel (März 2016) mehr als nur abstrakte Bedrohung durch islamistische Terrororga-nisationen stellt den Staat vor große Herausforderungen. Ein Baustein des unserer Verfassungsordnung zugrunde liegenden Konzepts der wehrhaften Demokratie ist das in Art. 9 Abs. 2 GG vorgesehene Instrument des Vereinsver-bots. Gemäß der genannten Vorschrift sind Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwi-derlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ord-nung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten. Auf Grundlage dieser Bestimmung und der sie konkretisierenden Vorschriften des Vereinsgesetzes ist nicht zuletzt die Betätigung des sog. Islamischen Staates in der Bundesrepublik Deutschland verboten worden. Un-ter welchen Voraussetzungen islamistische Vereinigungen

untersagt werden können und wie sich die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in jünge-rer Zeit entwickelt hat, erörtert aus gegebenem Anlass un-ser Experte Prof. Dr. Harald Dörig.

In jeder Hinsicht kreativ ist das Finanzierungsmodell des Crowdfunding, bei dem eine große Anzahl von Menschen – oft vermittelt über das Internet – ein bestimmtes Vorhaben finanziell unterstützt und damit überhaupt erst ermöglicht. Auch die deutschen Kommunen sind angesichts eines wach-senden Aufgabenspektrums und sinkender Einnahmen oft ge-zwungen, bei der Finanzierung gemeindlicher Vorhaben neue Wege zu gehen – oder dieses zumindest zu versuchen. Dies tat schon im Jahr 2009 beispielsweise die Stadt Quickborn, die eine Schulerweiterung durch Darlehen ihrer Bürger finan-zieren wollte, dabei aber am Widerstand der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht scheiterte. Dem Phänomen des Crowdfunding und seinen rechtlichen Rahmenbedingun-gen sowie der spannenden Frage, ob und ggf. inwieweit die-ses Finanzierungsmodell auch von Kommunen fruchtbar ge-macht werden kann, widmet sich der Aufsatz von Sonja Kay.

Da die Vielfalt der Beiträge ein Markenzeichen der jM ist, erwarten Sie selbstverständlich noch zahlreiche weitere in-teressante Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen. Die Maiausgabe der jM befasst sich u. a. auch mit dem Pro-blem des digitalen Nachlasses (am Beispiel der Frage, ob die Erben Anspruch auf Zugang zum Facebook-Nutzerkonto des Erblassers haben), mit den Voraussetzungen eines vom Arbeitgeber erzwungenen Urlaubsabbruchs und mit dem Dauerbrenner der steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer.

Neugierig auf das Ihnen vorliegende Heft sind – hoffent-lich – nicht nur Sie als unsere Leser, sondern auch wir sind neugierig. Uns interessiert, welche Beiträge Sie bevor-zugt lesen und wie Sie Aktualität, Umfang und Verständ-lichkeit der von uns veröffentlichten Aufsätze und Ent-scheidungsanmerkungen bewerten. Um dies zu erfahren, führen wir eine Online-Befragung durch, an der Sie unter www.juris.de/Leserbefragung teilnehmen können. Weitere Informationen dazu finden Sie am Ende des Heftes in der Rubrik „NEUES VON juris“. Bitte helfen Sie uns durch Ihre geschätzte Mitwirkung, mehr über die Erwartungen unse-rer Leserinnen und Leser zu erfahren und die jM dadurch noch besser zu machen.

Eine abwechslungsreiche Lektüre wünscht Ihnen, auch im Namen der anderen Herausgeber und Experten, Ihr

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff

Wehrhaft, kreativ, vielfältig und neugierig

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

A. Problemstellung

Investitionen in die kommunale Infrastruktur sind seit ei-nigen Jahren massiv rückläufig. Wurden noch Anfang der 90er Jahren etwa 60 % der öffentlichen Bauinvestitionen von den Kommunen getragen, ist dieser Wert seit 1993/94 sowohl im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt als auch pro Einwohner gesunken.1 Gleichzeitig verfügen Deutsch-land und Europa über ein sehr hohes meist privates Ver-mögen und hohe finanzielle Liquidität.2 Der vorliegende Beitrag geht daher der Frage am Beispiel des Saarlandes nach, ob und wie Kommunen sich Finanzmittel des privaten Finanzmarkts erschließen können. Eine Option ist dabei das Crowdfunding.

I. Finanzausstattung der Kommunen

Anpassungen an den demografischen Wandel3 sowie der Umbau der Infrastruktur auf u.a. die Effekte des Kli-mawandels stellen Kommunen derzeit und zukünftig vor große Aufgaben. Zu deren Umsetzung sind personelle, materielle und vor allem finanzielle Mittel erforderlich. Dieser steigende Investitionsbedarf steht jedoch immer häufiger sinkenden Einnahmen, erhöhten Sozialaus-gaben und daher leeren Kommunalkassen gegenüber. Da-her können Einsparungen meist nur in der Unterlassung von Erhaltungsinvestitionen erzielt werden.4 Das Statis-tische Bundesamt beziffert die Reduktion des kommuna-len Nettoanlagevermögens im Zeitraum 2003 bis 2013 auf 46 Mrd. €.5 Schätzungen des KfW-Kommunalpanels 2015 gehen sogar von einem Investitionsrückstand von 132 Mrd. € aus.6 Kommunalvertreter sehen gemäß einer Umfrage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Ener-gie (BMWi) die größten Investitionsstaus im Bereich der Verkehrsinfrastruktur gefolgt von Bildung sowie Freizeit/Kultur/Sport. Als Grund wird von der überwiegenden Mehrheit der Befragten ein unzureichender Finanzrahmen ausgemacht.7 Um mittel- bis langfristig diesem Abwärts-trend zu begegnen und Kommunen die dringend benötig-ten Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen, empfiehlt eine Expertengruppe des BMWi u.a. die Mobilisierung zusätzlicher Infrastrukturfinanzierung über „öffentliche Infrastrukturfonds“ oder private „Bürgerfonds“ u.a. als Crowdfunding.8

II. Crowdfunding

Crowdfunding leitet sich von dem Begriff „Crowdsour-cing“ (Crowd = Menschenmenge; Outsourcing = Ausla-gerung von Arbeit) nach Howe9 ab. Dahinter verbirgt sich ein neuartiges internetbasiertes Finanzierungskonzept, bei welchem eine große Anzahl an Menschen ein Projekt oder eine Aktion über einen Intermediär (bspw. Internetplatt-form) finanziell unterstützt.10 Das Modell wurde erstmals in Amerika im Jahr 2000 mit der Internetplattform „ArtistSha-re“11 bekannt. In Deutschland ist seit 2010 die Crowdfun-ding-Plattform „Startnext“ aktiv.12 Crowdfunding ist seither ein stetig wachsender Markt. Allein in 2014 wurden knapp 3 Mrd. € in der EU mittels Crowdfunding umgesetzt, davon allein etwa 140 Mio. € in Deutschland.13 Damit ist Deutsch-land der drittgrößte Markt in der EU nach Großbritannien (2,33 Mrd. €) und Frankreich (154 Mio. €).14 Der deutsche Markt wächst jährlich um 8 % und hat damit einen Umfang von etwa 3 % der Risiko- bzw. der Venture Capital-Investi-tionen des Jahres 2013 erreicht.15 Unter dem Oberbegriff

Crowdfunding – Tatsachen und Rechtsfragen einer neuen Finanzierungsmethode für kommunale Infrastrukturprojekte

Wiss. Mit. Sonja Kay, LL.M., M.Sc.

1 Fratzscher/Freier/Gornig, DIW-Wochenbericht: Wirtschaft, Politik, Wis-senschaft 82 (43) 2015, 1019 f.; Gornig/Michelsen/van Deuverden, DIW-Wochenbericht: Wirtschaft, Politik, Wissenschaft 82 (43) 2015, 1023 f.

2 Deutsche Bundesbank, Geldvermögensbildung und Außenfinanzie-rung in Deutschland im ersten Quartal 2015, 2015, n.pag.

3 Z.B. im Bereich einer flexiblen Netzinfrastruktur für Strom, Wasser oder Wärme.

4 BMWi, Stärkung von Investitionen in Deutschland, 2012, S. 6.5 Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen,

Anlagevermögen nach Sektoren, 2014.6 KfW Bankengruppe, KfW-Kommunalpanel 2015, 2015, S. 19.7 KfW-Kommunalpanel 2015, BMWi-Online-Befragung „Kommunale

Investitionen“, 2015, S. 3.8 BMWi, Stärkung von Investitionen in Deutschland, 2012, S. 7 f.9 Howe, Crowdsourcing. How the power of the crowd is driving the

future of business, 2009.10 Belleflamme/Lambert/Schwienbacher, Crowdfunding, 2011, S. 2 f.11 Plattform zur Unterstützung von Musikern bei der Finanzierung von

Alben.12 Startnext Crowdfunding GmbH, Über Startnext, 2015.13 Wardrop/Zhang/Rau/Gray, The European Alternative Finance Bench-

marking Report, 2015, S. 12.14 Kurz/Richert/Reif/Kunz, Crowdfunding-Geschäftsmodelle und ihre

Auswirkungen auf Finanzdienstleister in Deutschland, 2015, S. 22.15 Hölzner/Kortleben/Biering, Zukunftsperspektiven im Crowdinvesting,

2014, S. 2.

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Crowdfunding werden im Wesentlichen das Crowdlending („verleihen“), das Crowddonating („verschenken“) und das Crowdinvesting („investieren“) unterschieden. Bei Crowdinvesting handelt es sich im Allgemeinen um eine Form der Unternehmens- oder Projektbeteiligung, die als mittel- und langfristige Kapitalakquise dem Kapitalmarkt zugerechnet und als Risikokapital geführt wird.16 Hierbei werden häufig junge, innovative Unternehmungen finan-ziert, welchen eine hohe Unsicherheit hinsichtlich Zu-kunfts- und Erfolgschancen aufweisen.17 Das eingebrachte Kapital ist daher einem hohen Risiko aufgrund geringer Transparenz und eingeschränkter Liquidität ausgesetzt. Der Gesetzgeber sieht sich daher in der Pflicht, den Schutz der Anleger zu garantieren, indem er dieserart Risikokapital mit besonderen Auflagen hinsichtlich Information der Anleger und Nachweispflichten für die Unternehmungen versieht.18

Ein Crowdfunding-Verfahren startet immer mit einer gu-ten Projektidee, der die nötigen Finanzmittel fehlen.19 Darauf aufbauend werden Meilenstein-, Zielgruppen- und Kommunikationsplanung konkretisiert. Anschließend werden Finanzierungs- und Zeitbudget festgelegt und in eine allgemeine Beschreibung mit Bildern zur Veröffentli-chung gegossen. Alsdann kann das Projekt auf Plattfor-men im Internet, via Social Media, Mailing etc. beworben werden. Erst nach Erreichen des vollständigen Finanzie-rungsziels startet die praktische Umsetzung. Crowdfun-ding funktioniert nach dem pragmatischen Motto „ganz oder gar nicht“. Demnach werden Projekte, die das Finan-zierungsziel nicht (in der vorgesehenen Zeit) erreichen, nicht realisiert; das bis dato akquirierte Geld wird an die Anleger zurückgezahlt. Nach erfolgreicher Realisierung des Projektes werden den Unterstützern die angebotenen Gegenleistungen „ausgezahlt“. Als Besonderheit u.a. in Deutschland wird für das eigentliche Finanzgeschäft, u.a. das „Einsammeln“ des Geldes sowie das Weitergeben an den Emittenten, ein von der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht (BaFin) berechtigter Bank- oder Finanzdienstleister ein- bzw. zwischengeschaltet. In den meisten Fällen sammelt daher eine Bank das Geld von den Anlegern ein und vergibt ein zweckgebundenes Dar-lehen an die Emittenten.

III. Civic Crowdfunding

Eine besondere Form des Crowdfundings stellt das sog. Civic Crowdfunding dar. Der Begriff beschreibt die Beteili-gung der Zivilgesellschaft, von Bürgern und Bürgerinnen, in Crowdfunding-Projekten auf lokaler und regionaler Ebene. Allein in 2013 wurden in den USA etwa 3 Mrd. US-Dollar in zivilgesellschaftliche Projekte investiert.20 Die Projekte sind dabei sehr vielfältig und umfassen das gesamte Spektrum des regionalen Lebens. Neben Investitionen in Infrastruk-turmaßnahmen, wie der Bau einer Brücke aus hölzernen

Bauelementen in Rotterdam, wurde auch eine Fassaden-Rekonstruktion in Leipzig finanziert.21 Civic Crowdfunding bietet den Kommunen neben der finanziellen Unterstüt-zung, die vor dem Hintergrund der aktuellen prekären Finanzlage positiv zu Buche schlagen kann, vor allem je-doch ein Potenzial zur aktiven Bürgerbeteiligung. Den Bür-gern wiederum ermöglicht es, Projekte in der Kommune durch Bürgerkredit zu marktüb lichen Zinsen zu unterstüt-zen.22 Somit können sich die Bürger vor Ort während des Projektverlaufs (gestalterisch) einbringen und sich aktiv an einer Realisierung beteiligen. Dieserart Projekte eröffnen der lokalen Bevölkerung die Möglichkeit, Ideen, Wissen, aber auch persönliche Anschauungen aktiv in die kom-munale Gemeinschaft einzubringen und den gesellschaft-lichen Entwicklungsprozess mitzugestalten. Die Kommune kann von einer aktiven und zum Teil sehr innovativen Be-völkerungsbeteiligung profitieren.23

B. Kommunalrecht – Grundlage kommunalen Handelns

Gemeinden in Deutschland besitzen die grundgesetzliche Garantie der Selbstverwaltung.24 Dabei wird die Zustän-digkeit der Gemeinde vom Grundgesetz sehr weit gefasst. Sie bezieht sich auf „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“.25 Man spricht u.a. von einer Allzustän-digkeit bzw. von der Universalität des gemeinschaftlichen Wirkungskreises.26

I. Aufgaben der Kommune

Kommunen besitzen die Personal-, Finanz-, Organisations-, Planungs-, Satzungs-, Gebiet- und Aufgabenhoheit für ihr Territorium.27 Die kommunalen Aufgaben können im We-

16 Baumann, Crowdinvesting im Finanzmarktrecht, S. 41 ff.17 Breuer, Gabler Wirtschaftslexikon – Stichwort: Venture-Capital, 2015,

n.pag.18 Vgl. MiFID, MiFID II und MiFIR in Europa; Kleinanlegerschutzgesetz in

Deutschland.19 Harzer, Erfolgsfaktoren im Crowdfunding, 2013.20 Partale/El Mallouki/Wenzlaff, Civic Crowdfunding – Wie Crowdfun-

ding die Stadt verändert und welche Potenziale das neue Finanzie-rungsinstrument für Städte und Regionen hat, 2015, n.pag.

21 Wenzlaff/Gumpelmaier, Von Brücken und Pools – Crowdfunding-Ideen für Architekten, 2012, n.pag.

22 LeihDeinerStadtGeld, Für Bürger/Allgemeines, 2015, n.pag.23 Partale/El Mallouki/Wenzlaff, Civic Crowdfunding – Wie Crowdfun-

ding die Stadt verändert und welche Potenziale das neue Finanzie-rungsinstrument für Städte und Regionen hat, 2015, n.pag.

24 Lange, Kommunalrecht, 2013, Rn. 3.25 Art. 28 Abs. 2 GG.26 Tettinger in: Grundlagen und Kommunalverfassung, 2007.27 Springer Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftslexikon – Stichwort: Ge-

meinde, 2015, n.pag.

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Die Monatszeitschrift

sentlichen in pflichtige und freiwillige Selbstverwaltungs-aufgaben sowie Auftragsverwaltung und Pflichtaufgaben nach Weisung untergliedert werden.28 Die pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben werden häufig der Daseinsvor-sorge gleichgesetzt. Diese steht seit jeher im Zentrum der kommunalen Selbstverwaltung und hat sich über die Jahre weiterentwickelt.29 Sie umfasst neben der Haushaltsgestal-tung, die Bereitstellung von Kindergärten, Gemeindestra-ßen, Personennahverkehr, Wohngeld, Energieversorgung, Abfall- und Abwasserbeseitigung sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung.30 Neuerdings wird auch ein schneller Internetzugang zur Daseinsvorsorge gezählt.31 Aufgaben der Auftragsverwaltung werden der Kommune durch das Land per Gesetz zugewiesen.32 Dies sind u.a. das Melderecht, der Zivilschutz, das Ordnungsrecht, das Bauaufsichtsrecht und die Ausländerangelegenheiten.33 Abschließend kann die Gemeinde freiwillige Aufgaben, insbesondere in den Bereichen Kultur, Sport und Erholung übernehmen. Bekannte Beispiele sind der Betrieb von Mu-seen, Schwimmbädern, Theatern, Grünanlagen, Bürger-häusern und vieles mehr. Einzelheiten der kommunalen Zuständigkeiten regeln die länderspezifischen Kommunal-verfassungen (vgl. saarländisches Kommunalselbstverwal-tungsgesetz – KSVG).34

II. Kommunalhaushalt

Eine Gemeindefinanzierung beruht auf Abgaben, auf staatlichen Finanzzuweisungen und auf sonstigen Ein-nahmen.35 Sonstige Einnahmen resultieren aus pri-vatrechtlichen Erträgen und Entgelten, wie z.B. Kon-zessionsabgaben, Krediten oder die Veräußerung von Vermögenswerten.36 Die finanzielle Verantwortung für die Selbstverwaltungsaufgaben der Kommune trägt die Kommune. Auftragsverwaltung und Pflichtaufgaben nach Weisung werden teilweise oder auch vollständig von Bund und Ländern finanziell gestützt. Trotzdem klagen die Kommunen über prekäre finanzielle Haushaltslagen, welche eigenverantwortliches Handeln insbesondere bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben deutlich einschränken. Das kommunale Haushaltsrecht formuliert den Rahmen zur Erstellung, Umsetzung und Kontrolle der kommunalen Finanz- und Haushaltsführung mit dem Ziel, die anstehenden Aufgaben möglichst effizient mit den vorhandenen Ressourcen zu erfüllen.37 Das Gemeinde-haushaltsrecht ist länderspezifisch geregelt (vgl. saarlän-dische Kommunalhaushaltsverordnung – KommHVO).

1. Finanzmittelbeschaffung

Vor dem Hintergrund der prekären Haushaltssituation der Kommunen im Saarland nimmt die Finanzmittel-beschaffung einen wichtigen und vor allem kritischen

Part im kommunalen Haushaltsrecht ein. Vom Grund-satz sieht das KSVG vor, dass Gemeinden ihre Aufga-ben und damit ihren Haushalt über Leistungsentgelte sowie Steuern finanzieren und decken.38 Bei einem hö-heren Finanzmittelbedarf für Investitionen, der nicht anderweitig oder nur wirtschaftlich unzweckmäßig finanziert werden kann, darf dieser Bedarf gem. § 83 Abs. 3 KSVG über Kredite aufgenommen werden. Vor dem Hinter-grund, dass eine Kreditaufnahme eine Verpflichtung der Kommune für kommende Jahre verursacht, bedürfen die-se Rechtsgeschäfte der Genehmigung der Kommunalauf-sicht.39

Die Aufsichtsbehörde prüft gem. § 92 Abs. 2 KSVG, ob die Kommune über eine geordnete Haushaltswirtschaft verfügt und ob die angestrebte Verpflichtung in Einklang mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Kommune steht. Hinzu kommt, dass nicht nur die Investition als solches betrachtet wird, sondern auch die damit verbundenen Fol-gekosten bei der Prüfung Berücksichtigung finden. Auch das Wahren des Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeits-prinzips sowie der pflegliche Umgang mit dem kommu-nalen Vermögen fließt in die Entscheidung mit ein. Nach Auffassung des Erlasses des Ministeriums für Inneres und Sport über die Kreditwirtschaft der Gemeinden und Gemeindeverbände vom 27.06.2015 ist die dauernde Leistungsfähigkeit bei einem unausgeglichenen Haushalt nicht gegeben, sodass eine Kreditgenehmigung nur noch für pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben erteilt werden dürfte. Um den Kommunen dennoch einen kleinen Investi-tionsspielraum zu ermöglichen, sieht der Erlass weiter vor, dass bei der Bewertung der Kreditaufnahmen von Son-dervermögen40 auch enge Verflechtungen zum Kernhaus-

28 Hoppe/Uechtritz/Reck/Beinert, Handbuch kommunale Unternehmen, 2012, S. 2.

29 Hoppe/Uechtritz/Reck/Beinert, Handbuch kommunale Unternehmen, 2012, S. 3.

30 Springer Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftslexikon – Stichwort: Ge-meinde, 2015, n.pag.

31 Linke, Genesis des Begriffs Daseinsvorsorge und Überlegungen zu einer dynamischen Definition als Reflektion sich verändernder demo-grafischer und fiskalischer Rahmenbedingungen, 2011, S. 11.

32 Vgl. Art. 83 ff. GG.33 Springer Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftslexikon – Stichwort: Ge-

meinde, 2015, n.pag.34 Gröpl/Guckelberger/Wohlfarth, Landesrecht Saarland, 2013.35 Lange, Kommunalrecht, 2013, S. 959.36 Lange, Kommunalrecht, 2013, S. 964.37 Lange, Kommunalrecht, 2013, S. 1071 f.38 § 83 Abs. 2 KSVG.39 § 92 Abs. 2 KSVG.40 Kommunales Sondervermögen sind u.a. Vermögen der Eigenbetriebe,

örtliche Stiftungen oder auch alte Nutzungsrechte.

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halt berücksichtigt werden sollen. Sehr häufig wird diese Ausnahmeregelung bei kommunalen Eigenbetrieben an-gewandt. Auch werden im Saarland Investitionskredite ausnahmsweise als Sonderkredite genehmigt, sofern sie zur Finanzierung rentierlicher Maßnahmen erforderlich sind. Nach dem Erlass vom 13.04.2013 des Ministeriums für Inneres und Sport werden u.a. Einsparungen von Be-wirtschaftungs- und Unterhaltungskosten, energetische Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden und der Ersatz alter Straßenbeleuchtungen als rentierliche Maßnahmen aner-kannt.

Kreditähnliche Rechtsgeschäfte wie Leasinggeschäfte, aty-pische langfristige Mietverträge ohne Kündigungsmöglich-keiten bzw. Nutzungsüberlassungsverträge für Gebäude auf gemeindeeigenen Grundstücken bedürfen ebenfalls der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Anzeigepflichtig, jedoch genehmigungsfrei nach § 92 Abs. 5 KSVG sind gem. § 2 der Verordnung über die Genehmigungsfreiheit von Rechtsgeschäften Kreditverpflichtungen in Abhängigkeit der Gemeindegröße von

bis zu 10.000 Einwohner: 20.000 €über 10.000 bis 20.000 Einwohner: 40.000 €über 20.000 bis 40.000 Einwohner: 60.000 €über 40.000 bis 100.000 Einwohner: 125.000 €über 100.000 Einwohner: 250.000 €bei Landkreisen und dem Regional verband Saarbrücken: 125.000 €

2. Kommunalinvestitionen

Kommunale Investitionsmaßnahmen werden traditionell von A bis Z von den Kommunen betreut. D.h. alle Pha-sen eines Infrastrukturprojektes, wie Planung, Bau und Betrieb, werden durch die Kommune vergeben, die In-vestition wird meist über Eigenmittel, Bankkredite oder festverzinsliche Anleihen finanziert. Die Kommune steht somit für alle mit dem Projekt zusammenhängenden Ri-siken ein. Eine Alternative könnte die Partnerschaft mit privaten Investoren darstellen (ÖPP – Öffentliche Private Partnerschaft), die neben der Planung und Umsetzung vor allem im Bereich der Finanzierung aktiv werden könnten. Seit 2002 wurden in Deutschland etwa 3,1 Mrd. € über ÖPPs in Kommunen finanziert, dies entspricht lediglich 1,3 % der Gesamtbauinvestitionen in besagtem Zeitraum. Dies zeigt, dass von dieser Art der Finanzierung sehr we-nig Gebrauch gemacht wird. Dabei können gerade private Geldgeber eine Alternative zur Schließung bestehender Versorgungslücken in Infrastrukturprojekten darstellen und zur Risikoverteilung beitragen. Die Zahl der umge-setzten ÖPP-Projekte ist hingegen in den letzten Jahren rückläufig.41

C. Finanzmarktrecht – Grundlage finanzwirtschaft-lichen Handelns

Wie vorangehend ausgeführt, handelt es sich bei Crowd-funding um eine Art des Risikokapitals, welches der Ge-setzgeber mit Auflagen hinsichtlich Informationspflich-ten und Begrenzung des finanziellen Umfangs versehen hat. Als zuständige Aufsichtsbehörde in Deutschland prüft die BaFin, ob eine Erlaubnispflicht u.a. gemäß Kre-ditwesengesetz (KWG) oder Zahlungsdiensteaufsichts-gesetz (ZAG) für Crowdfunding-Projekte besteht. Da die Vertragsvereinbarungen beim Crowdfunding je nach Ge-genstand und Zielgruppe sehr unterschiedlich sein kön-nen, bedarf es jeweils einer individuellen Prüfung und Erlaubnis.42

I. KWG

Das KWG sieht gem. § 32 Abs. 1 KWG vor, wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kauf-männischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfor-dert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistun-gen erbringen will, bedarf der schriftlichen Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. Der BaFin obliegt somit die Aufgabe zu prüfen, ob einerseits eine Gewerbsmäßigkeit vorliegt und anderseits ein Bankgeschäft oder eine Finanzdienst-leistung betrieben wird. Auch Crowdfunding-Projekte, im Sinne von Crowdinvesting, können u.U. der Erlaubnis-pflicht des KWG unterliegen. Daher werden im Einzelnen die Geldgeber bzw. Anleger, der Emittent bzw. Kreditneh-mer und die Plattformen überprüft. Handelt es sich bei Anleger um ein Gewerbe bzw. um einen kaufmännisch eingerichteten Betrieb, wird gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG das Gewähren von Gelddarlehen und die daraus resultierende Durchführung eines Kreditgeschäfts über-prüft. Eine Gewerbsmäßigkeit wird unterstellt, wenn der Betrieb auf eine gewisse Dauer und mit einer Gewinner-zielungsabsicht betrieben wird. Letzteres ergibt sich aus der Entgeltlichkeit des Angebotes.43 Es wird ein Bankge-schäft bzw. eine Finanzdienstleistung getätigt, wenn es sich bei der angebotenen Unternehmensbeteiligung um ein Finanzinstrument gem. § 1 Abs. 11 KWG handelt. Dies können z.B. Wertpapiere, Aktien oder Vermögensanlagen sein. Unter Vermögensanlagen werden gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 ff. VermAnlG u.a. Anteile, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens gewähren, partiarische Darlehen, Nachrangdarlehen oder Genussrechte zusam-mengefasst. Eine ähnliche Prüfung durchläuft der Kredit-

41 BMWi, Stärkung von Investitionen in Deutschland, 2012, S. 31 f.42 Müller-Schmale, BaFinJournal 06/2014, 11 f.43 Begner, BaFinJournal 09/2012, 12.

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nehmer. Schlussendlich werden auch die Plattform-Betrei-ber überprüft. Plattformen, die eine Anlagevermittlung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG), eine Abschlussvermittlung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 KWG) oder ein Platzierungsge-schäft (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1c KWG) anbieten, betreiben erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungen. Ausnahmen dieser Regelung ergeben sich aus § 2 KWG. Danach be-nötigen Unternehmen gem. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 8e KWG keine Erlaubnis, wenn sie als Finanzdienstleistungen für andere ausschließlich die Anlageberatung und die Anla-gevermittlung zwischen Kunden und Anbietern oder Emit-tenten von Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 VermAnlG tätigen. Vollbringt die Plattform also reine Vermittlungs-tätigkeiten und erwirbt kein Eigentum oder Besitz, ist sie nicht erlaubnispflichtig im Sinne des KWG. Werden sowohl die Gewerbsmäßigkeit als auch der Betrieb eines Bankge-schäfts bzw. einer Finanzdienstleistung verneint, bedarf es einer weiteren Prüfung gemäß ZAG. Die Plattform kann zudem als Finanzvermittler im Sinne der Gewerbeordnung gem. § 34 f. GewO erlaubnispflichtig sein.

II. ZAG

Entsprechend des § 8 Abs. 1 Satz 1 ZAG bedarf, wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Zahlungsdienste als Zahlungsinstitut erbringen will, der schriftlichen Erlaubnis der Bundesanstalt. Auch in diesem Fall kommt der BaFin die Aufgabe der Prüfung zu, ob es sich sowohl um eine Gewerbsmäßigkeit als auch um einen Zahlungsdienst handelt. Die Gewerbsmäßigkeit wird entsprechend der Prüfung im KWG anhand einer gewissen Dauer des Betriebes sowie der Gewinnerzielungsabsicht in Form der Entgeltlichkeit des Angebotes unterstellt. Ein Zah-lungsdienst im Sinne des Finanztransfergeschäftes gem. § 1 Abs. 2 Nr. 6 ZAG ergibt sich, wenn der Betreiber einer Crowdfunding-Plattform die Gelder der Anleger entgegen-nimmt und direkt an den Emittenten weiterleitet.44 Werden Gewerbsmäßigkeit und der Betrieb eines Zahlungsdienstes bejaht, bedarf das Projekt der schriftlichen Erlaubnis. Wer-den beide Sachverhalte verneint, kann die Plattform frei agieren.

III. Prospektpflicht

Für Crowdfunding-Projekte kann eine Prospektpflicht gem. § 6 VermAnlG für Vermögensanlagen oder § 3 WpPZ für Wertpapiere bestehen. Gem. § 6 VermAnlG müssen Anbieter, die im Inland Vermögensanlagen öffentlich an-bieten, einen Verkaufsprospekt veröffentlichen, sofern nicht bereits nach anderen Vorschriften eine Prospekt-pflicht besteht oder ein gültiger Verkaufsprospekt nach den Vorschriften dieses Gesetzes bereits veröffentlicht

worden ist. Prospektpflichtig ist der Anbieter, welcher bei Crowdfunding-Projekten meist der Emittent ist. Der Prospekt muss vor einer Veröffentlichung von der BaFin gebilligt werden.45 Die Prospektpflicht beinhaltet gem. § 13 VermAnlG zudem die Erstellung eines Vermögensan-lagen-Informationsblatts. Dieses muss die wesentlichen Informationen über die Vermögensanlagen, wie Art der Vermögensanlage, Anlagestrategie, -politik und -objekte, den Verschuldungsgrad des Emittenten, die Laufzeit und Kündigungsfrist der Anlage, die Risiken, die Kapitalrück-zahlung und Erträge unter verschiedenen Marktbedin-gungen und die Kosten und Provisionen, enthalten. Ferner bedarf es der Angaben über den Anbieter sowie Hinweise hinsichtlich des Anlegerschutzes. Von der Prospektpflicht ausgenommen sind Angebote, bei denen der Verkaufs-preis 100.000 € nicht übersteigt.46

IV. Kleinanlegerschutzgesetz

Im Zuge einiger großer Verluste im Bereich von privaten Vermögensanlagen in den letzten Jahren sah sich der Gesetzgeber verpflichtet, diese Defizite beim Schutz von Kleinanlegern zu beseitigen.47 Das Kleinanlegerschutzge-setz vom 15.07.2015 soll somit den Schutz von Kleinanle-gern auf dem Grauen Kapitalmarkt48 sicherstellen. Daher fasst das Gesetz Änderungen des FinDAG, des VermAnlG, des WpHG, des WpÜG, des VermVerkProspV und weite-rer Vorschriften zusammen. Ziel ist es, Kleinanleger in die Lage zu versetzen, die Seriosität und die Erfolgsaussichten einzelner Vermögensanlage besser einzuschätzen.49 Dazu werden u.a. die Kontrollbefugnisse der BaFin erweitert sowie Vorgaben für die Anbieter zur Ausgabe und Ab-wicklung der Projekte festgesetzt. Für die Anbieter gelten seither eine erweiterte Prospektpflicht, Mindestlaufzeiten von 24 Monaten, das Einhalten von Kündigungsfristen sowie eine verbesserte Aktualität und Zugänglichkeit sowie Beschränkungen der Werbetätigkeit. Ausnahmen gelten für Schwarmfinanzierungen (= Crowdfunding), soziale und ge-meinnützige Projekte sowie für Projekte von Religionsge-meinschaften.50

44 Müller-Schmale, BaFinJournal 06/2014, 13.45 Begner, BaFinJournal 09/2012, 14.46 § 2 Abs. 1 Nr. 3b VermAnlG.47 Bußalb, BaFinJournal 01/2015, 12.48 Der Graue Kapitalmarkt ist Teil des Finanzmarktes, untersteht jedoch

nicht der staatlichen Finanzkontrolle. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Anbieter von Risikokapital und Vermögensanlagen, wie Unternehmens- und Immobilienbeteiligungen, aber auch Diamanten-handel, Termingeschäfte, Immobilienfonds und Crowdfunding.

49 Bußalb, BaFinJournal 01/2015, 12.50 Art. 2 Kleinanlegerschutzgesetz.

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Die Kompetenzen der BaFin wurden erweitert; sie ist nunmehr berechtigt, den Vertrieb von einzelnen Produk-ten einzuschränken oder ganz zu verbieten, sie kann Unternehmensbilanzen prüfen und getroffene Maß-nahmen gegen Unternehmen als Warnung für andere Anleger auf der eigenen Homepage veröffentlichen. Für Crowdfunding-Projekte sieht das Gesetz Ausnah-men in der Prospektpflicht vor, wenn es sich um ein Nachrangdarlehen oder partiarisches Darlehen handelt, welches maximal 1 Mio. € über eine Internetplattform erfasst und jeder einzelne Anleger maximal 1.000 € in-vestieren kann. Bei Anlagebeträgen zwischen 1.000 und 10.000 € muss eine Selbstauskunft abgegeben werden, dass der Anleger über ein frei verfügbares Vermögen in Form von Bankguthaben und Finanzinstrumenten von mindestens 100.000 € verfügt oder nicht mehr als den zweifachen Betrag seines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens anlegt.51 Ab einem Anlagebetrag von 250 € muss ferner ein Vermögensanlagen-Informations-blatt vom Anleger unterschrieben werden. Soziale und gemeinnützige Projekte als auch Gesellschafter eingetra-gener Vereine sind bis 1 Mio. € nicht prospektpflichtig.

D. Optionen für kommunales Crowdfunding

Kommunale Baumaßnahmen, Sanierungen oder Moderni-sierungen bedürfen in den meisten Fällen einer externen Finanzierung. Derartige Investitionen wurden und werden größtenteils durch eine Mischung aus Eigenkapital und Fremdkapital in Form von Krediten finanziert. Die Änderun-gen von Basel III haben auch Auswirkungen auf die Kom-munalfinanzierung. Gerade langfristige Projekte mit niedri-gen Gewinnspannen sind für Banken unattraktiv. Dies zeigt auch die Umfrage der KfW; insbesondere finanzschwache Kommunen geben Schwierigkeiten und Verschlechterung der Kreditbedingungen an.52 Eine Alternative kann das Crowdfunding darstellen. Jedoch ist nicht jedes Projekt für eine derartige Finanzierung geeignet.

I. Best Practice

Erste Beispiele des Crowdfundings im kommunalen Bereich in Deutschland stellen Hainzer/Stötzer53 zusammen. Da-nach konnte in der Stadt Quickborn bereits 2009 ein Schul-bau bzw. eine Erweiterung mittels Bürgerdarlehen i.H.v. 4 Mio. € finanziert werden. Die Bürger wurden über direkte Darlehensverträge mit der Kommune bei einer Mindestein-lage von 5.000 € und einer Verzinsung des Darlehensbe-trags von 3 % pro Jahr in das Projekt eingebunden. Diese Art der finanziellen Zusammenarbeit wurde jedoch ein Jahr später von der BaFin aus rechtlichen Gründen versagt, da es sich hierbei um genehmigungspflichtige Bankgeschäfte gemäß KWG handele. Das zweite Finanzierungsprojekt der

Stadt in 2010 wurde daher in Zusammenarbeit mit einer Bank, der Bank für Investments und Wertpapier (biw) Wil-lich, durchgeführt. Die Akquise der Gelder oblag der Bank, welche dann ihrerseits ein Darlehen an die Stadt ausgab. In der zweiten Tranche wurden erneut 2 Mio. € zu einem Zins von 1,5 bzw. 2,5 % pro Jahr auf eine Laufzeit von zwei bzw. fünf Jahren in Form von Mikrokrediten einge-worben.54 Ein ähnliches Modell wurde in der Stadt Willich angeboten, um den Bau einer Schulmensa zu finanzieren. Auch hier konnten 1,7 Mio. € zu einem Zins von 3,6 % und einer Laufzeit von 20 Jahren eingeworben werden. Weitere Projekte konnten in Oestrich-Winkel, Augsburg und Gum-mersbach-Bergneustadt auf diesem Wege finanziert wer-den. In Oestrich-Winkel wurde eine Digitalausrüstung der Feuerwehr, in Augsburg der Ausbau erneuerbarer Energien und in Gummersbach-Bergneustadt die Sanierung eines Schwimmbads realisiert.55 Eine Besonderheit stellt dabei vor allem das Projekt in Oestrich-Winkel aus dem Jahr 2012 dar. In diesem Projekt wurde neben einer Bank (der Fidor AG) auch ein Online-Plattform-Betreiber („LeihDeiner-StadtGeld“)56 eingeschaltet. Daraus ergab es sich, dass die Beteiligung der Bürger bereits mit einer Einlage von 100 € erfolgen konnte.

II. Verfahren zur Umsetzung

Jedoch ist nicht jedes Projekt für eine derartige Finanzie-rung geeignet. Dabei müssen sowohl die rechtlichen Vorga-ben für Kommunen als auch die sozialen Vorgaben für eine erfolgreiche Crowdfunding-Finanzierung berücksichtigt werden. Seitens der Kommunalverwaltung sollten daher im Vorfeld folgende Fragen beantwortet werden:

1. Handelt es sich bei der Investition um ein Projekt, wel-ches eine kommunale Aufgabe im Sinne einer Angele-genheit der örtlichen Gemeinschaft gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG darstellt?

2. Sind keine eigenen Finanzmittel in ausreichender Höhe gem. § 83 Abs. 3 KSVG vorhanden?

3. Handelt es sich um eine Investition oder Investitionsför-derungsmaßnahme gem. § 92 Abs. 1 KSVG?

4. Wird die Genehmigung der Kommunalaufsicht gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 KSVG benötigt? Oder ergibt sich

51 Art. 2 § 2a Kleinanlegerschutzgesetz.52 KfW-Kommunalpanel 2015, BMWi-Online-Befragung „Kommunale

Investitionen“, 2015, S. 17 ff.53 Hainzer/Stötzer in: Der Dritte Sektor als Infrastrukturakteur, 2014,

S. 234 ff.54 Thöne, Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 90 (3)

2010, 141 f.55 Hainzer/Stötzer in: Der Dritte Sektor als Infrastrukturakteur, 2014, S. 235.56 https://www.leihdeinerstadtgeld.de/.

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eine Ausnahme der Genehmigung gem. § 92 Abs. 5 Satz 3, § 59 Abs. 3 Satz 1 KSVG oder § 2 der Verord-nung über die Genehmigungsfreiheit von Rechtsge-schäften der Gemeinden und Gemeindeverbände vom 28.09.2001?

5. Kann auf Sicherungsleistungen gem. § 92 Abs. 6 KSVG verzichtet werden?

In nahezu allen Fällen empfiehlt es sich, bereits im Vorfeld die Kommunalaufsicht zu beteiligen.

Daneben gilt es, die Motivation, das Engagement und die Empathie der Bürger als Anleger bzw. Geldgeber für einzel-ne Themenbereiche zu berücksichtigen.57 Auch ein finanzi-eller Output des angestrebten Projektes im Crowdinvesting sollte bedacht werden, denn eine finanzielle Gegenleistung ist nicht bei allen Projektideen gegeben.58 Darüber hinaus finden Projekte in städtischen Gebieten mit vielen (zah-lungskräftigen) Bürgern eher Anklang und werden früher umgesetzt, als Maßnahmen in ländlichen, strukturschwa-chen Regionen.

E. Fazit

Gemeinden in Deutschland kommt gemäß Grundgesetz die Aufgabe zu, „alle Angelegenheiten der örtlichen Ge-meinschaft“59 zu regeln. Demgemäß sind sie verantwort-lich für die gemeindliche Daseinsvorsorge, die traditionell die Energieversorgung, die Abfallentsorgung oder auch kulturelle Angebote umfasst. Im Zuge der letzten Jahre wurden zusätzliche Aufgaben an die Kommunen heran-getragen, sodass sie derzeit neben der Zuständigkeit für Sozialausgaben auch im großen Feld des kommunalen Klimaschutzes aktiv werden müssen. Dieser Vielzahl von alten und neuen Aufgaben stehen – aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen – immer weniger Einnahmen ge-genüber. Als Folge wird das wenig vorhandene Geld für die Deckung der laufenden Ausgaben herangezogen. Die zum Teil dringenden Erhaltungs- oder Entwicklungs-investitionen werden, selbst bei rentablen Maßnahmen, jedoch aufgrund fehlender Finanzmittel aufgeschoben. Gleichzeitig verfügen die privaten Haushalte in Deutsch-land und Europa über sehr hohe Sparguthaben und hohe finanzielle Liquidität. Die vorstehenden Überlegungen gehen daher der Frage am Beispiel des Saarlandes nach, ob und wie Kommunen sich Finanzmittel des privaten Fi-nanzmarkts erschließen können. Eine Möglichkeit stellt dabei das Crowdfunding dar. Bei dieser alternativen Form der Finanzierung wird ein Projekt von einer Vielzahl an Menschen mit Klein- und Kleinstbeträgen finanziell un-terstützt. Die Organisation erfolgt i.d.R. mittels Internet und spezieller Crowdfunding-Plattform, die Anbieter und Abnehmer zusammenbringt.60

Allgemein handelt es sich bei Crowdfunding um ein Fi-nanzgeschäft mit sog. Risikokapitalanlagen, welches in Deutschland den Regelungen der allgemeinen Finanzauf-sicht sowie im Speziellen des Kleinanlegerschutzes unter-liegt. Diese Gesetze dienen dazu, den Marktzugang sowie Anmelde- und Veröffentlichungspflichten von Finanzdienst-leistern zu kontrollieren und den besonderen Rahmen für Crowdfunding-Projekte hinsichtlich zeitlichen und finan-ziellen Projektumfangs, Pflichten des Anbieters sowie des Anlegers zu spezifizieren. Unter Einhaltung dieses Rechts-rahmens wird in nahezu allen Fällen für das eigentliche Fi-nanzgeschäft („Einsammeln“ des Geldes, Darlehen an den Emittenten) eine Bank zwischengeschaltet. Die marktrele-vanten Genehmigungs- und Kontrollaufgaben werden von der BaFin übernommen.

Will nun eine Kommune ein Projekt mittels Crowdfun-ding initiieren, müssen neben diesen allgemeinen, für alle Crowdfunding-Projekte geltenden Bestimmungen die kommunalen Rahmenbedingungen für eine Kreditaufnah-me berücksichtigt werden. Demgemäß ist eine Kreditauf-nahme nur möglich, wenn es sich bei der Maßnahme um eine Investition im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge handelt, für die keine eigenen kommunalen Finanzmittel zur Verfügung stehen. Prinzipiell bedarf es, bis auf weni-ger Ausnahmen,61 der Genehmigung durch die kommu-nale Aufsichtsbehörde. Es empfiehlt sich jedoch immer, im Vorfeld eines derartigen Projektes die Kommunalaufsicht zu beteiligen. Die Aufsichtsbehörde prüft,62 ob die ange-strebte Verpflichtung in Einklang mit der dauernden Leis-tungsfähigkeit der Kommune steht. Vor dem Hintergrund des enormen Haushaltsdrucks in den Kommunen wurden in letzter Zeit nur noch Investitionen in Pflichtaufgaben und neuerdings auch rentierliche Maßnahmen genehmigt. Dies verdeutlicht, dass Crowdfunding als alternatives Finanzie-rungsmodell für kommunale Investitionen vor dem aktu-ellen Rechtsrahmen prinzipiell umsetzbar ist. Jedoch zeigt die Entwicklung der letzten Jahre auch, dass Kommunen bisher wenig Interesse bzw. große Unsicherheiten bei sol-cherart ÖPP-Projekten empfinden. Vor diesem Hintergrund sollten im Vorfeld der Projektinitiative, neben dem rechtli-

57 Davies in: Policy 2012, 2014, S. 135 ff.58 Partale/El Mallouki/Wenzlaff, Civic Crowdfunding – Wie Crowdfun-

ding die Stadt verändert und welche Potenziale das neue Finanzie-rungsinstrument für Städte und Regionen hat, 2015, n.pag.

59 Art. 28 Abs. 2 GG.60 Belleflamme/Lambert/Schwienbacher, Crowdfunding, 2011, S. 2 f.61 § 92 Abs. 5 Satz 3, § 59 Abs. 3 Satz 1 KSVG oder § 2 der Verordnung

über die Genehmigungsfreiheit von Rechtsgeschäften der Gemeinden und Gemeindeverbände.

62 § 92 Abs. 2 KSVG.

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Beschaffenheitsvereinbarung außerhalb der notariellen UrkundeBGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14

Prof. Dr. Michael Jaensch

A. Problemstellung

Ist beim Hauskauf die Wohnfläche im Vorfeld vom Verkäu-fer angegeben worden, nahm die Rechtsprechung bisher selbst dann eine Vereinbarung an, wenn sie im notariellen Vertrag nicht erwähnt wurde.1 In diesem Fall wird der Käu-fer versuchen, Gewährleistungen geltend zu machen, wenn sich die Wohnfläche nach Vertragsabschluss als geringer herausstellt. Um dem vorzubeugen, enthält der Vertrag auf Betreiben des Verkäufers i.d.R. einen Haftungsausschluss.

Folgendes ist zu bedenken: Gelangt man im Wege der Ausle-gung zum Ergebnis, dass in der Tat eine Beschaffenheitsver-einbarung getroffen wurde, ist das Grundstück gem. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB mangelhaft, wenn es nicht die vereinbarte Wohnfläche aufweist. Die Norm dient der überschießenden Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 lit. a) der Verbrauchsgüterkauf-richtlinie2 und ist grds. weit auszulegen.3 Ein vertraglicher Haftungsausschluss gem. § 444 BGB ist nach der BGH-Recht-sprechung regelmäßig dahin gehend zu verstehen, dass er die Beschaffenheitsvereinbarung nicht umfasst. Denn ande-renfalls wäre die Vereinbarung für den Käufer sinnlos.4 Die Beschaffenheitsvereinbarung bedarf ebenso wie der gesamte Grundstückskaufvertrag der notariellen Beurkundung nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Missachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form führt aufgrund von § 125 BGB zur Nichtigkeit. Wurde die Beschaffenheit des Grundstücks zwar vereinbart aber nicht zusammen mit dem übrigen Kaufver-trag notariell beurkundet, so ist die Vereinbarung nichtig, was wegen § 139 BGB im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Vertrages nach sich zieht. Der Formmangel wird geheilt und der Grundstückskaufvertrag in seiner Gesamtheit wirksam, sobald das Eigentum an dem Grundstück durch Auflassung und Eintragung übertragen wurde, § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB.

Vor dem Hintergrund der Formbedürftigkeit von Grund-stückskaufverträgen widmet sich der BGH der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer einseitigen Angabe der Wohnfläche im Wege der Auslegung davon ausgegangen werden kann, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung zu-stande gekommen ist, wenn diese in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag gefunden hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger kaufte von der Beklagten mit notariellem Ver-trag unter Ausschluss der Gewährleistung ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Zuvor hatte die Beklagte in einem Exposé und auf ihrer Internetseite die Wohnfläche mit ca. 200 qm und die Nutzfläche mit ca. 15 qm angege-ben. Auf einer Grundrisszeichnung, die die Beklagte dem Kläger vor Vertragsschluss aushändigte, ergab sich eine Gesamtfläche von gut 215 qm. Nach Abschluss des Kauf-vertrages ermittelte der Käufer auf Grundlage der Wohn-flächenverordnung eine Gesamtwohnfläche von knapp 172 qm, woraufhin er die Minderung des Kaufpreises er-klärte. Er verlangt nunmehr Rückzahlung des überschüssig geleisteten Kaufpreises und Schadensersatz.

In den Tatsacheninstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat in der Übergabe der Grundriss-zeichnung eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung gesehen. Allerdings erfasse der Haftungsausschluss auch konkludente Beschaffenheitsvereinbarungen, weshalb es die Klage abgewiesen hat.

Die gegen die Klageabweisung gerichtete Revision hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Im Gegensatz zur Vorinstanz lehnt

1 BGH, Urt. v. 11.07.1997 - V ZR 246/96 Rn. 8 f.; BGH, Urt. v. 08.01.2004 - VII ZR 181/02 Rn. 19 ff.

2 Richtlinie 1999/44/EG vom 25.05.1999, ABl. EG vom 07.07.1999 L 171, S. 12 ff.

3 BGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14 Rn. 19; Pammler in: jurisPK BGB, 7. Aufl. 2014, § 434 Rn. 20 ff.

4 BGH, Urt. v. 29.11.2006 - VIII ZR 92/06 - BGHZ 170, 86 Rn. 31.

chen Rahmen, auch soziale Aspekte, wie die Empathie der Bürger und der Kommunalbediensteten mit dem Projektge-genstand, ein möglichst geringer Verwaltungsaufwand für die Kommune und ein erreichbarer finanzieller Output für die Anleger, eine Rolle spielen. Voraussichtlich lassen sich Bürger leichter für die Unterstützung zum Bau eines Spiel-platzes als zur Sanierung eines Abwasserkanals motivieren. Positive Crowdfunding-Beispiele können zudem sowohl

Kommunen als auch Bürger für das Modell sensibilisieren und eine lokale Umsetzung bei eigenen Projekten in Be-tracht ziehen lassen.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich der rechtliche Rahmen sehr positiv auf die Entwicklungen des Crowdfundings im Spannungsfeld eines hohen Anleger-schutzes auf der einen und eines möglichst offenen Finanz-marktes auf der anderen Seite eingestellt hat.

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der Gerichtshof eine Beschaffenheitsvereinbarung durch Aushändigung der Grundrisszeichnung ab und bekräftigt seine Rechtsprechung, wonach ein vertraglicher Haftungs-ausschluss regelmäßig dahin gehend auszulegen sei, dass er sich weder auf eine ausdrückliche noch auf eine konklu-dente Beschaffenheitsvereinbarung erstreckt.

Im Mittelpunkt der Überlegungen des Gerichtshofs steht die Frage, inwiefern die Formbedürftigkeit des Vertrages zu Zwecken der Auslegung herangezogen werden kann. Er be-findet, dass Äußerungen des Verkäufers im Vorfeld des Ver-tragsschlusses über die Beschaffenheit des Grundstücks, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag gefun-den haben, in aller Regel zu keiner Vereinbarung führen.

In seiner Begründung unterscheidet der BGH zwischen bloßen Informationen und rechtsverbindlichen Vereinba-rungen. Nur letztere seien Gegenstand des Vertrages und bedürften der Beurkundung. Da den Parteien bekannt sei, dass bindende Vereinbarungen zu beurkunden sind, sei an-zunehmen, dass eine Bindung nicht gewollt ist, sofern eine Vereinbarung sich nicht in der Urkunde niederschlägt. Auch könne der Käufer nicht annehmen, der Verkäufer wolle für eine Beschaffenheitsvereinbarung einstehen, für die er die Haftung nicht ausschließen könne, wenn sie in der Urkunde keine Erwähnung findet. Die Auslegung, die die Nichtigkeit vermeidet, verdiene den Vorzug. Daher sei in der Übergabe der Grundrissskizze keine beurkundungspflichtige Beschaf-fenheitsvereinbarung zu sehen, da diese zur Nichtigkeit des Vertrages aufgrund Formmangels führe. Dieser Auslegung stehe nicht entgegen, dass der Formmangel infolge Auflas-sung und Eintragung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt wird, da es bis dahin jeder Seite freistehe, sich auf die For-munwirksamkeit zu berufen, was die Parteien bei Vertrags-schluss im Zweifel nicht beabsichtigen.

Die aufgrund von Art. 2 Abs. 2 lit. a) Verbrauchsgüterkauf-richtlinie gebotene weite Auslegung der Beschaffenheits-vereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB gelte nicht für Grundstückskaufverträge, für die aufgrund des Formzwangs eine enge Auslegung geboten sei. Mit der Warn-, Schutz- und Belehrungsfunktion der Beurkundungspflicht sei es nicht vereinbar, wenn vorvertragliche Eigenschaftsbeschreibungen von Grundstücken zu Beschaffenheitsvereinbarungen führ-ten, ohne Gegenstand der Urkunde zu sein. Die diesbezüglich großzügigere Rechtsprechung zum Fehlerbegriff nach § 459 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. könne nicht übernommen werden, da anders als nach altem Recht eine Beschaffenheitsvereinba-rung zur nicht abdingbaren Verkäuferhaftung führe.

Schließlich verneint der Gerichtshof auch einen Schadenser-satzanspruch aus vorvertraglichem Verschulden gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB. Eine Haftung des Ver-käufers wegen vorsätzlich falscher Angaben über die Wohn-

und Nutzfläche scheidet aus, da Vorsatz nicht bewiesen wurde. Zudem führe auch der unterlassene Hinweis, dass die Wohnflä-chenangabe der Grundrisszeichnung unzutreffend ist, zu kei-ner Haftung, da den Verkäufer keine Aufklärungspflicht über die für die Flächenermittlung einschlägigen Normen treffe.

C. Bewertung

I. Aufgrund der drohenden Nichtigkeit des gesamten Grundstückskaufvertrages – die Rede ist vom „Vertrag“5 – legt der BGH die einseitige Angabe zur Wohnfläche zum Schutze der Parteien dahin gehend aus, dass eine Beschaf-fenheitsvereinbarung, die in der Urkunde keinen Nieder-schlag gefunden hat, nicht zustande gekommen ist. Er verab-schiedet sich somit von seiner bisherigen Rechtsprechung.6 Es verwundert, dass der Gerichtshof anders als die von ihm zitierte Literatur7 § 139 BGB, aufgrund derer es zur Gesamt-nichtigkeit kommt, mit keinem Wort erwähnt. Zum Schutz der Privatautonomie ordnet § 139 BGB im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Vertrages an, sofern ein Teil der Vereinbarung nichtig ist.8 Die Vermutung der Gesamtnichtigkeit wird i.d.R. durch vertraglich vereinbarte Teilunwirksamkeitsklauseln in ihr Gegenteil verkehrt. Es ist wahrscheinlich, dass der Grund-stückskaufvertrag im vorliegenden Fall eine solche Klausel enthält; dem Urteil ist dies aber nicht zu entnehmen.

Mit einer Teilunwirksamkeitsklausel würde eine nichtige Beschaffenheitsvereinbarung im Zweifel nicht zur Gesamt-nichtigkeit führen, womit der Annahme des BGH, der „Ver-trag“ wäre nichtig, ihre Grundlage entzogen wäre. Denn wenn keine Nichtigkeit des gesamten Grundstückkaufver-trages droht, kann eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Parteien keinen nichtigen Vertrag schließen wollten.

Die vom BGH entwickelte Auslegungsregel kann daher nur greifen, wenn der Vertrag keine Teilunwirksamkeitsklausel enthält. In diesem Fall droht die Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB, sofern angenommen werden kann, dass die Par-teien den Grundstückkaufvertrag ohne die Beschaffenheits-vereinbarung nicht geschlossen hätten. Der BGH hingegen dreht den Spieß um und stellt § 139 BGB wieder einmal „auf den Kopf“,9 indem er den Vertrag aufrechterhält. Denn zur Anwendung von § 139 BGB kommt es nicht, wenn es an ei-ner Beschaffenheitsvereinbarung fehlt. Statt zu ermitteln, ob die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Beschaffenheits-vereinbarung geschlossen und somit die Gesamtnichtigkeit

5 BGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14 Rn. 20.6 Vgl. BGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14 Rn. 20.7 Büdenbender in: NK BGB, 2. Aufl. 2012, § 434 Rn. 19.8 Busche in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2015, § 139 Rn. 1.9 Vgl. Lammel, AcP 189 (1989), 244, 257; siehe auch Busche in: Münch-

Komm BGB, 7. Aufl. 2015, § 139 Rn. 2.

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vermieden hätten, unterstellt er ohne Begründung die Ge-samtnichtigkeit und schließt unter Berufung auf allgemeine Auslegungsregeln auf das Nichtzustandekommen der Ver-einbarung, um somit den beurkundeten Kaufvertrag in seiner Wirksamkeit nicht zu gefährden. Im Ergebnis nimmt er damit eine geltungserhaltende Reduktion vor und erreicht das Ge-genteil von dem, was durch § 139 BGB beabsichtigt wird.

II. Als allgemeine Auslegungsregel ist anerkannt, dass die Par-teien im Zweifel eine vernünftige Vereinbarung anstreben.10 Eine nichtige Vereinbarung abzuschließen, ist nicht vernünf-tig. Daher ist die Auslegung einer Vereinbarung vorzuziehen, die deren Nichtigkeit vermeidet. Anerkannt war dies bisher für die inhaltliche Ausgestaltung einer Vereinbarung.11 Der Gerichtshof überträgt diese Auslegungsregel nunmehr auf das Zustandekommen einer Vereinbarung.12 Zum Schut-ze der Parteien geht er davon aus, dass eine Vereinbarung nicht zustande gekommen sei, da sie anderenfalls aufgrund § 311b Abs. 1 Satz 1, § 125 BGB nichtig wäre. Allerdings ord-nen diese Normen gerade zum Schutz der Parteien vor Über-eilung, zur Warnung und vor Unkenntnis die Nichtigkeit an; der BGH meint, die Parteien vor diesem Schutz bewahren zu müssen. Ob die Nichtigkeit der Beschaffenheitsvereinbarung auf den gesamten Vertrag übergreift, ist nach der vertraglich vereinbarten Teilwirksamkeitsklausel und in Ermangelung dieser nach § 139 BGB zu ermitteln. Es bedarf nicht des Rückgriffs auf einen allgemeinen Auslegungsgrundsatz.

III. Es entspricht der gängigen Praxis, trotz detaillierter Produktbeschreibung die Gewährleistung auszuschließen. Nach der vom BGH bestätigten Auslegungsregel erfasst der Gewährleistungsausschluss nicht Mängel gem. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB, da ansonsten die Beschaffenheitsverein-barung – mit Ausnahme im Fall der Arglist des Verkäufers – sinnlos sei.13 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Käufer, der in den geweckten Erwartungen nicht enttäuscht werden will, sich entweder nicht auf einen Haftungsaus-schluss einlassen darf,14 eine Beschaffenheitsgarantie ver-langen oder sein Kaufpreisangebot anpassen muss. Er ist durch den Arglisteinwand hinreichend geschützt. Die vom BGH bekräftigte Auslegungsregel überzeugt daher nicht.

IV. Dem BGH mag im Ergebnis zuzustimmen sein, dass § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB für Grundstückskaufverträge aus-nahmsweise eng auszulegen ist. Es überrascht jedoch, wie leichtfertig er zur gespaltenen Auslegung greift, ohne in der gebotenen Weise den gesetzgeberischen Willen zur ein-heitlichen Anwendung einer den Anwendungsbereich einer Richtlinie überschießenden Norm15 zu berücksichtigen.

D. Auswirkung für die Praxis

Für Beschaffenheitsvereinbarungen gilt auf der Grund-lage dieses Urteils, dass sie im Zweifel als nicht geschlos-

10 Busche in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2015, § 133 Rn. 63.11 BGH, Urt. v. 26.09.2002 - I ZR 44/00 - BGHZ 152, 153, 158 f.12 BGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14 Rn. 18.13 BGH, Urt. v. 29.11.2006 - VIII ZR 92/06 Rn. 31.14 Emmert, NJW 2006, 1765, 1768; Gutzeit, NJW 2007, 1350, 1351.15 Hierzu BGH, Urt. v. 17.10.2012 - VIII ZR 226/11 - BGHZ 195, 135

Rn. 20, 22; ähnlich Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 551; abwei-chend Weiss, EuZW 2012, 733, 734 f.

16 Siehe hierzu Gehrlein in: BeckOK BGB, 37. Edition, Stand 01.11.2015, § 311b Rn. 24.

17 Vgl. BGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14 Rn. 16.18 Vgl. BGH, Urt. v. 06.11.2015 - V ZR 78/14 Rn. 18.

sen gelten, sofern sie keinen Niederschlag in der Urkunde gefunden haben. Folgt man der Argumentation des BGH, müsste das Gleiche auch für sonstige beurkundungsbe-dürftige Nebenabreden16 gelten. Denn auch diesbezüglich wäre anzunehmen, die Parteien hätten die Bindung an die Abrede nicht gewollt, wenn sie dem ihnen bekannten Be-urkundungserfordernis nicht nachkommen.17 Zudem wäre gemäß der Argumentation des BGH die Auslegung vorzu-ziehen, die die Nichtigkeit des Vertrages vermeidet,18 so-dass im Zweifel davon auszugehen sei, eine Nebenabrede wäre nicht zustande gekommen.

„Patentlösung für trockene Keller“ – „wasserdichte“ Wege zum Rücktritt bei FehlschlägenOLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.01.2015 - I-22 U 154/14

Marie Herberger*

A. Problemstellung

Teilleistungen, Schlechtleistungen und Teilschlechtleistungen tauchen in der Praxis häufig auf. Die Behandlung im Rahmen des Rücktritts ist besonders bei Kauf- und Werkverträgen hef-tig umstritten. Der Beschluss des OLG Düsseldorf ist prädes-tiniert dafür, die Problematik zu veranschaulichen. Es handelt sich um einen Hinweisbeschluss, mit dem der Senat ankün-digt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückweisen zu wollen. Infolgedessen geht der Senat an einer zentralen, die Teilleistung betreffenden Stelle, hilfsweise auf die Rechtsansicht der Beklagten ein.

* Die Autorin promoviert bei Prof. Dr. Markus Würdinger am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht sowie Zivilprozessrecht an der Universität des Saarlandes.

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Die Monatszeitschrift

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung von Werklohn. Er hatte die Beklagte mit der Abdichtung seines feuchten Kellers betraut. Allerdings war der Keller auch nach Abschluss der Arbeiten nicht trocken. Es galt zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für einen Rücktritt vorliegen.

Zunächst war die vereinbarte Beschaffenheit (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB) durch Auslegung des Werkvertrages zu ermit-teln. Dabei betont das Gericht, dass neben der vertraglich vereinbarten Leistung/Ausführungsart auch darauf abzu-stellen sei, welche Funktion das Werk nach dem Parteiwillen erfüllen solle. Selbst wenn eine bestimmte vereinbarte Funk-tionstauglichkeit des Werks mit der vertraglich vereinbarten Leistung/Ausführungsart nicht zu erreichen sei, schulde der Werkunternehmer trotzdem diese Funktionstauglichkeit. Ohne explizit §§ 133, 157 BGB heranzuziehen, erläutert das Gericht, dass der objektive Empfängerhorizont für das Ver-ständnis der vereinbarten Beschaffenheit entscheidend sei. Dabei komme es weder darauf an, wie der Erklärende seine Erklärung selbst verstanden habe, noch darauf, was der für den Empfänger günstigste Sinn sei.

Vor diesem Hintergrund gewinnt der chronologische Ablauf der Ereignisse Bedeutung. Bei einem Ortstermin hatte die Beklagte dem Kläger eine Broschüre mit dem Slogan „Die Patentlösung für trockene Keller. Wirkungsvoll. Wasser-dicht. Werterhaltend.“ überreicht. Darin könnte ohne Wei-teres eine öffentliche Äußerung i.S.v. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB gesehen werden. Allerdings fehlt eine entsprechende Vorschrift im Werkvertragsrecht. Unter Bezug u.a. auf die Bundestagsdrucksache 14/6040, S. 261 (li. Sp.) schließt das Gericht, dass im Werkvertragsrecht bewusst auf eine vergleichbare Vorschrift verzichtet worden sei. Nach der in Bezug genommenen Argumentation bezieht sich § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB auf den Verkauf von Massenwaren, die typischerweise von den Herstellern beworben werden. Im Werkvertragsrecht gebe es aber neben dem Werkunterneh-mer keinen weiteren Hersteller, da der Werkunternehmer sich gerade zur Herstellung verpflichtet habe. In den Fällen, in denen der Werkunternehmer selbst werblich tätig sei, würden die konkreten Eigenschaften des Werks zu einer Be-schaffenheitsvereinbarung. In der Konsequenz dieser Über-legungen nimmt das Gericht eine Beschaffenheitsvereinba-rung nach § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB an. Daran ändere auch das Angebot der Beklagten nach dem Ortstermin nichts, das von einer „Kellerteilabdichtung Hohlkehle (ca. 8 lfdm im Partyraum)“ gesprochen habe. Aus dieser Erklärung folge lediglich, dass die Beklagte mit der angegebenen Ausfüh-rungsart die vereinbarte Funktionstauglichkeit herstellen wollte. Auch die Empfehlung der Beklagten zur Baugrund-untersuchung beeinflusse die Beschaffenheitsvereinbarung

nicht, da diese nach dem laienhaften Empfängerhorizont des Klägers nicht als Berichtigung der Werbeaussage zu verstehen gewesen sei. Dafür hätte die Beklagte den Klä-ger in für Laien verständlicher Weise erklären müssen, dass ohne Gutachten gewisse Risiken verbleiben. Das Gericht weist zudem darauf hin, dass die Beklagte in der Broschüre eine „präzise Vorbereitung“ und „eingehende Beratung“ versprochen habe. Damit sei zwischen den Parteien verein-bart worden, dass der Keller im Anschluss an die Arbeiten nicht mehr feucht sein werde. Dadurch, dass der Keller nach wie vor nicht trocken sei, weiche die Ist-Beschaffenheit von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit ab, sodass ein Mangel gem. § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB vorliege.1

Das Gericht hält auch die sonstigen Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Werkvertrag nach „§§ 634 Nr. 3, 636, 323, 326 Abs. 5 BGB“ für gegeben. Ohne § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu nennen, wird eine Fristsetzung zur Nacherfüllung für entbehrlich erklärt, weil der Werkunternehmer die Män-gelbeseitigung ernsthaft und endgültig verweigert habe.

Im Sinne einer „Selbst wenn“-Prüfung geht das Gericht sodann auf den Vortrag des beklagten Werkunternehmers ein, der meinte, gewisse Abdichtungseffekte in Teilberei-chen des Kellers im Sinne einer quantitativen Teilleistung erzielt zu haben, und prüft § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB. Da ein Interesse des Werkbestellers an einem nur teilweise trocken gelegten Keller nicht bestehe, sei – selbst wenn man diese gewissen Abdichtungseffekte in Teilbereichen des Kellers unterstelle – ein Gesamtrücktritt möglich.

C. Bewertung

Die „Selbst Wenn“-Formulierung des Gerichts macht deut-lich, dass es eigentlich von einer Gesamtschlechtleistung ausgeht. Dann wäre aber § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB zu prüfen gewesen. Möglicherweise wollte das Gericht diese Norm auch nennen, denn § 326 Abs. 5 BGB passt nicht zu der vor-liegenden Fallkonstellation. § 326 Abs. 5 BGB betrifft Fälle, in denen die Nacherfüllung nach § 275 BGB unmöglich ist. Dann ist nach § 326 Abs. 5 HS. 2 BGB eine Fristsetzung vor einem Rücktritt nach § 323 BGB entbehrlich. Das Gericht hält eine Nacherfüllung aber für möglich, denn sonst hätte es nicht das Erfordernis der Fristsetzung und die Entbehr-lichkeit nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB geprüft.

Im Rahmen der hypothetischen Annahme einer quantitativen Teilleistung zieht das Gericht unter Bezugnahme auf Grüne-berg2 wie selbstverständlich § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB heran. Wer den Wortlaut von § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB betrachtet

1 Das ist wohl das, was das Gericht meint, wenn es von einem „Mangel der Werkleistung der Beklagten i.S.v. § 434 BGB“ spricht (Rn. 36).

2 Grüneberg in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 323 Rn. 24.

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(Teilleistung), wird an dieser Einordnung zunächst nicht zwei-feln. Nach § 633 Abs. 2 Satz 3 Var. 2 BGB steht es einem Sach-mangel aber gleich, wenn das Werk in zu geringer Menge hergestellt wird. Würde man diese Wertung in § 323 Abs. 5 BGB übertragen, so scheint dessen Satz 2 einschlägig zu sein, der von einer nicht vertragsgemäßen Leistung spricht.3

Die Frage, ob innerhalb von § 323 Abs. 5 dessen Satz 1 oder Satz 2 heranzuziehen ist, ist von praktischer Relevanz: Das Erheblichkeitskriterium in § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB stellt in der Regel eine niedrigere Schwelle dar als das Erforder-nis des Interessenfortfalls in § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB.4 Au-ßerdem ist eine Anwendung von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB aufgrund der aus der negativen Formulierung folgenden Beweislast des Werkunternehmers hinsichtlich der Uner-heblichkeit des Sachmangels für den Werkbesteller vorteil-hafter.5

Das Gericht hat sich also der Ansicht angeschlossen, die die Wertung von § 633 Abs. 2 Satz 3 Var. 2 BGB nicht in das allgemeine Schuldrecht überträgt.6

Des Weiteren fragt es sich, ob die vom Gericht getroffe-ne Annahme einer quantitativen Teilleistung überzeugt. Bei einer solchen wird die Leistung teilweise erbracht und teilweise nicht erbracht. Dafür könnte sprechen, dass der Werkunternehmer vorträgt, er habe sich nur zur Abdichtung von Teilbereichen des Kellers verpflichtet. Die quantitative Teilleistung ist jedoch von der qualitativen Teilleistung ab-zugrenzen. In diesen Fällen hat der Werkunternehmer teil-weise vertragsgemäß und teilweise nicht-vertragsgemäß geleistet. Das Leistungsdefizit besteht also nicht in einer Nichtleistung, sondern in einer nicht vertragsgemäßen Leistung. Da der Werkunternehmer seine Methode, nämlich die Abdichtung mittels Injektionsverfahren, auf den ganzen Keller angewendet hat, besteht das Leistungsdefizit in ei-ner nicht vertragsgemäßen Leistung. Wenn man also mit dem Gericht eine Teilleistung annimmt, dann ist diese als qualitativ und nicht als quantitativ anzusehen.

Als Folgefrage ist zu entscheiden, ob bei einer qualitativen Teilleistung (Teilschlechtleistung) § 323 Abs. 5 Satz 17oder § 323 Abs. 5 Satz 28 bzw. eine Kombination aus beiden Nor-men9 zu prüfen ist. Wer der Ansicht ist, dass es für einen Käufer kaum einen Unterschied macht, ob ihm von 100 Flaschen Wein nur 90 geliefert werden, oder ob er zwar 100 Flaschen erhält, von denen aber 10 Flaschen mit nicht genießbarem Wein befüllt sind,10 muss Teilleistung und Teilschlechtleistung gleich behandeln. Dafür mag auch die Überlegung sprechen, dass die Verkäufer in beiden Fallkon-stellationen trotz Fristsetzung nicht ordnungsgemäß nach-geliefert haben. Möglicherweise wird bei einer gleichen Behandlung von Teilleistung und Teilschlechtleistung aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Käufer im Falle

der Teilschlechtleistung ein Entsorgungsproblem hat, das er bei einer Teilleistung nicht hat.

Im Ausgangsfall ist jedoch fraglich, ob es sich überhaupt um eine Teilleistung handelt. Das Gericht spricht von gewissen Abdichtungseffekten in Teilbereichen des Kellers (am Fuß-punkt bzw. an der Trennfuge). Eine Teilleistung setzt voraus, dass ein abtrennbarer Teil der Leistung mit einem Mangel behaftet ist.11 Anders ausgedrückt: Es muss die Möglich-keit bestehen, den restlichen Keller trocken zu legen, wobei die gewissen Abdichtungseffekte in den Teilbereichen des Kellers außen vor gelassen werden können. Selbst wenn man die Teilbarkeit bejahen sollte, ist noch zu prüfen, ob die Mangelhaftigkeit eines Teils der Leistung als Mangel-verdacht auf die restliche Leistung ausstrahlt, der sich nicht durch zumutbare Maßnahmen ausräumen lässt, denn dann ist kein begrenzter Mangel mehr anzunehmen.12

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Beschluss des OLG Düsseldorf nimmt die vollmundi-ge Werbung mit dem Versprechen der kompletten Keller-Trockenlegung durch eine Spezialmethode beim Wort und sieht darin eine Beschaffenheitsvereinbarung. Dabei wird in dem Beschluss mehrfach auf die besondere Situation hingewiesen, in der sich der Besteller als Laie befindet. Die-se Sicht der Dinge führt dann dazu, dass – die sonstigen Rücktrittsvoraussetzungen gegeben – ein Rücktritt möglich ist, falls dieses Werbeversprechen nicht eingelöst werden konnte. Damit werden der vielfach anzutreffenden aus-ufernden Werbung rund um die Trockenlegung von nassen Kellern Grenzen gesetzt, was zu begrüßen ist.

Allerdings ist der Beschluss als Präjudiz dort problema-tisch, wo hypothetisch der Fall einer quantitativen Teilleis-tung betrachtet wird. Auch in diesem Kontext hätte man

3 Faust in: BeckOK, BGB, 01.08.2014, § 434 BGB Rn. 115; Giesen, Falschlieferung und Mengenfehler nach neuem Schuldrecht, 2009, S. 125; Schulze in: Hk-BGB, 8. Aufl. 2014, § 323 BGB Rn. 13.

4 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 116, 118; Heiderhoff/Skamel, JZ 2006, 383, 389; Medicus/Lorenz, Schuldrecht II BT, 17. Aufl. 2014, Rn. 101.

5 Medicus/Lorenz, Schuldrecht II BT, 17. Aufl. 2014, Rn. 101; Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 145.

6 Der Gesetzgeber wollte die Beantwortung der Frage der Rechtspre-chung überlassen, BT-Drs 14/7052, S. 185; so z.B. auch Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 120; Samhat, ZJS 2013, 587, 594.

7 Cholstinina, NJ 2004, 556, 558.8 Schulze in: Hk-BGB, 8. Aufl. 2014, § 323 BGB Rn. 13.9 Ernst in: MüKo, BGB, 6. Aufl. 2012, § 323 BGB Rn. 256; Lorenz, NJW

2003, 3097, 3098 f.10 So das Beispiel in BT-Drs 14/6040, S. 187 (li. Sp.).11 Alpmann in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 323 BGB Rn. 65.12 Gsell in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 2005, § 323 BGB Rn. 219.

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Die Monatszeitschrift

Digitaler Nachlass: Zugang der Erben zum Facebook-NutzerkontoLG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 - 20 O 172/151

RA und FA für IT-Recht Wolfgang Kuntz

A. Problemstellung

Der Digitale Nachlass ist ein Thema, mit dem sich u.a. der 64. Deutsche Anwaltstag 2013 in Düsseldorf2 bereits be-schäftigte. Nun hatte soweit ersichtlich erstmals ein deut-sches Gericht zu den in diesem Zusammenhang auftau-chenden Rechtsfragen Stellung zu nehmen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das Landgericht hat im Ergebnis Facebook dazu verurteilt, einer Erbengemeinschaft nach einer im Alter von 15 Jahren durch einen Unfall verstorbenen Schülerin Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten bei dem sozialen Netzwerk Face-book zu gewähren.

Das Gericht begründet dies damit, dass der Nutzungsver-trag im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB auf die Erbengemeinschaft übergegangen sei.

Eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin stehe nicht entgegen, da die Erziehungsberech-tigten gerade Sachwalter des Persönlichkeitsrechts ihrer Kinder seien.

Die Gedenkzustands-Richtlinie von Facebook (in der da-maligen Fassung) stehe ebenfalls nicht entgegen, da diese Richtlinie unwirksam sei. Die Unwirksamkeit folge daraus, dass eine beliebige Person von der Facebook-Freundesliste den Gedenkzustand aktivieren könne und eine Anmeldung danach selbst für die Erben mit den korrekten Zugangsda-ten nicht mehr möglich sei.

Auch das Fernmeldegeheimnis aus § 88 Abs. 3 TKG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 GG stehe einer Zugangsgewährung nicht ent-gegen. Einer Einwilligung sämtlicher Kommunikationspart-ner bedürfe es nämlich dann nicht, wenn das Verschaffen von Kommunikationsinhalten im Rahmen des für die geschäfts-mäßige Erbringung erforderlichen Maßes i.S.v. § 88 Abs. 3 Satz 1 TKG liege. Da Facebook grds. nach erbrechtlichen Vor-schriften auch verpflichtet sei, der Erbengemeinschaft den zu ihrem Nachlass gehörigen Account zugänglich zu machen, sei das „erforderliche Maß“ als gewahrt anzusehen.

Die Zugangsgewährung sei auch nicht aus datenschutzrecht-lichen Gründen unmöglich. Das (anwendbare) deutsche Da-tenschutzrecht müsse hinter dem erbrechtlich gefundenen Ergebnis im Wege praktischer Konkordanz zurückstehen.

Darüber hinaus sei von einem Auskunftsanspruch auch auf-grund der Regelung des § 34 BDSG auszugehen.

C. Anmerkungen und Kritik zur Entscheidung

I. Die vom Landgericht verneinte Frage der Höchstpersön-lichkeit der betroffenen Rechte dürfte angesichts der neuen Facebook-Einstellungen nun anders zu bewerten sein. Fa-cebook bietet aktuell die Möglichkeit an, dass der Nutzer die Einstellungen so wählen kann, dass nur er selbst die Einträge und Inhalte zu seinem Account sieht.3 Ist diese Einstellung gewählt, sprechen gute Argumente für eine Höchstpersönlichkeit des Nutzungsvertrages, sodass die Erwägungen des Landgerichts auf die aktuellen Facebook-Einstellungen nicht mehr ohne Weiteres übertragbar sind.

II. Das LG Berlin begründet ferner die Feststellung, dass eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erb-lasserin nicht zu befürchten ist, mit der Minderjährigkeit der Erblasserin im zu entscheidenden Fall und damit, dass die Er-ziehungsberechtigten die Sachwalter der Interessen des Per-sönlichkeitsrechts der Minderjährigen seien. Rechtsprechung und Literatur bejahen übereinstimmend ein postmortales Persönlichkeitsrecht des Erblassers.4 Der Schutz dieses Rechts wird im Regelfall bei volljährigen Erblassern einer Übertra-gung der Rechte aus dem Nutzungsvertrag entgegenstehen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass es umso wichtiger ist, die Fragen der Behandlung des Zugangs insbesondere zu So-cial Media, aber auch zu E-Mail etc. erbrechtlich zu regeln (z.B. Testament, Vorsorgevollmacht, Testamentsvollstrecker, Hinterlegung von User-Passwörtern/Kennungen).

1 Facebook hat gegen die Entscheidung des LG Berlin Berufung zum Kammergericht eingelegt.

2 Dazu Rath, AnwBl. 2013, 534-536.3 Dazu: https://de-de.facebook.com/help/275599715852133.4 Zumindest hinsichtlich der vermögenswerten Bestandteile allgemein an-

erkannt, vgl. BGH, Urt. v. 01.12.1999 - I ZR 49/97 - „Marlene Dietrich“.

der Frage nicht ausweichen dürfen, ob überhaupt eine Teilleistung vorliegt, wenn gewisse Abdichtungseffekte im Keller feststellbar sein sollten. Des Weiteren erscheint die Annahme und Einordnung einer quantitativen Teilleis-tung als etwas apodiktisch, weil die Kontroverse um die mögliche Übertragbarkeit der Wertung aus dem beson-deren Schuldrecht nach § 323 Abs. 5 BGB ausgeblendet wird. Der Praxis ist anzuraten, sich in geeigneten Fällen das Argumentationspotenzial zunutze zu machen, das sich aus der Spannungslage zwischen § 323 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BGB ergibt.

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III. Durch die aktuelle Entwicklung überholt ist das Urteil des LG Berlin auch in Bezug auf die Ausführungen zur Gedenkzustands-Richtlinie, die vom Landgericht i.d.F. zwi-schen 2012 und 2014 geprüft worden war. Aktuell bietet Facebook die Möglichkeit, einen sog. Nachlasskontakt5 zu wählen. Dieser darf z.B. das Profilfoto des Verstorbenen än-dern oder auf Freundschaftsanfragen reagieren. Er hat aber nicht die Möglichkeit, sich bei dem Konto selbst anzumel-den oder alte Chats des Verstorbenen zu lesen.

Es ist derzeit noch völlig offen, ob die neue Facebook-Re-gelung ebenfalls AGB-rechtlich eine unangemessene Be-nachteiligung der Rechte der Erben darstellt oder ob der in der Einrichtung des Nachlasskontakts zum Ausdruck kom-mende Wille, eine bestimmte Person festzulegen, die nicht zwingend Erbe sein muss, rechtlich zu respektieren ist. Geht man von der zweiten Variante aus, wäre weiter zu fragen, ob für diese – erbrechtlich zu prüfende und beurteilende – Regelung seitens des Erblassers ein einfaches Anklicken in den Facebook-Einstellungen genügt oder ob hier ein im Einklang mit dem Erbrecht stehendes formalisiertes Verfah-ren zu fordern ist. In diesem Fall wäre möglicherweise eine gesetzliche Regelung angezeigt.

IV. Zu kritisieren ist das Urteil des Landgerichts insbeson-dere hinsichtlich der Ausführungen zum Telekommunikati-onsgeheimnis.

1. Meines Erachtens bedeutet die Argumentation des Land-gerichts eine Art Zirkelschluss. Das Gericht begründet die Wahrung des „erforderlichen Maßes“ damit, dass Facebook nach erbrechtlichen Vorschriften verpflichtet ist, den Account zugänglich zu machen. Das Gericht verkennt dabei aber, dass gerade das telekommunikationsrechtliche bzw. grundrecht-lich geschützte Recht des Telekommunikationsgeheimnisses den erbrechtlichen Regeln entgegenstehen könnte und da-mit das Merkmal „erforderliches Maß“ aus § 88 Abs. 3 TKG nicht seinerseits mit der Anwendung des Erbrechts begrün-det werden darf. Dies bedeutet, dass das Landgericht zur Begründung für die telekommunikationsrechtliche Regelung das Erbrecht heranzieht, dessen Anwendbarkeit angesichts der telekommunikationsrechtlichen Normen jedoch zunächst erst nachgewiesen werden soll.

Zudem ist anzunehmen, dass die geschäftsmäßige, d.h. ver-tragsgemäße, Erbringung des Telekommunikationsdienstes in seiner bisherigen Form grds. mit dem Tod des Nutzers endet, sodass bereits fraglich ist, ob hier von einer „Erfor-derlichkeit“ nach dem Tod des Account-Inhabers noch ge-sprochen werden kann.

Es kommt hinzu, dass das Landgericht verkennt, dass die ein-fachgesetzliche Regelung des Fernmeldegeheimnisses in § 88 Abs. 3 TKG im Zusammenhang mit den dazu geregelten da-tenschutzrechtlichen Normen der §§ 91 ff. TKG zu sehen ist.

Die §§ 91 ff. TKG stellen eine „Obergrenze des Zulässigen“ dar: Was datenschutzrechtlich nicht gestattet ist, kann auch nicht zur Erbringung von Diensten erforderlich sein.6 Eine Bekanntgabe des Inhalts von auf eigenen Servern gespei-cherten E-Mails an Erben von Account-Kunden aber ist den Internet-Providern durch die §§ 91 ff. TKG nicht gestattet. Bei solchen E-Mails handelt es sich um Verkehrsdaten i.S.v. § 3 Nr. 30 TKG, d.h. um Daten, die bei der Erbringung eines Te-lekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Solche Verkehrsdaten dürfen nur in dem durch § 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 TKG umschriebenen Umfang erhoben und verwendet werden. Die Kenntnisnahme oder gar Weitergabe des Inhalts einer E-Mail zählen nicht hierzu.7 Auf das Problem der §§ 91 ff. TKG geht das Landgericht gar nicht ein.

2. Das BVerfG hat in der sog. Fraport-Entscheidung die Grundrechtsbindung auch von privaten Unternehmen he-rausgearbeitet.8

Daraus folgt, dass sich vorliegend Grundrechte auf beiden Seiten der Beteiligten gegenüberstehen – einerseits das Te-lekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und ande-rerseits die Rechte der Erben aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Soweit einige Autoren dieses Problem der sich entgegen-stehenden Grundrechte im Wege einer praktischen Konkor-danz9 regeln wollen, ist hierzu anzumerken, dass von einer Konkordanz im Sinne einer „simultanen Optimierung beider Rechtspositionen“10 nichts übrig bleibt, wenn maßgeblich mit Blick auf das durch die kurze Erbausschlagungsfrist be-gründete Interesse der Erben an einer raschen Regelung der Verhältnisse die Interessen der beteiligten Kommunikations-partner des Erblassers vollends zurücktreten sollen.11 Das Konkordanz-Argument stellt sich damit lediglich als ein Ve-hikel für eine rein vom Ergebnis her orientierte Betrachtung

5 Dazu u.a. https://de-de.facebook.com/help/1506822589577997/.6 DAV-Stellungnahme Nr. 34/13 „Digitaler Nachlass“, S. 81.7 DAV-Stellungnahme Nr. 34/13 „Digitaler Nachlass“, S. 81, 82.8 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 22.02.2011 - 1 BvR 699/06.9 Z.B. Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 ff.10 So z.B. formuliert BVerfGE 83, 130, 143: „Gerät die Kunstfreiheit mit

einem anderen Recht von Verfassungsrang in Widerstreit, müssen vielmehr beide mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemesse-nen Ausgleich gebracht werden. Dabei kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu [...]. Bei Herstellung der geforderten Konkordanz ist daher zu beachten, daß die Kunstfreiheit Ausübung und Geltungsbereich des konkurrierenden Verfassungs-rechtsgutes ihrerseits Schranken zieht (vgl. BVerfGE 77, 240, 253). All dies erfordert eine Abwägung der widerstreitenden Belange und verbietet es, einem davon generell – und sei es auch nur für eine bestimmte Art von Schriften – Vorrang einzuräumen.“

11 Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 292, unter Berufung auf Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 450 f.; Herzog, NJW 2013, 3751; Deusch, ZEV 2014, 5 f.

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Die Monatszeitschrift

dar. Für die Praxis ist eine gesetzliche Regelung zu fordern, die sämtlichen beteiligten Grundrechten Rechnung trägt.

V. 1. Unterstellt man die Anwendbarkeit des deutschen Datenschutzrechts, stellt sich auch hier wieder das Prob-lem des rein ergebnisorientiert angewandten Konkordanz-Arguments des Landgerichts, das bereits oben12 angespro-chen wurde.

2. Diskutabel und kritikwürdig ist zudem die Annahme des Landgerichts, dass § 34 BDSG einen Auskunftsanspruch und damit einen Anspruch auf Zugang zum Nutzerkonto geben soll.

Das Bundesdatenschutzgesetz schützt richtiger und wohl herrschender Auffassung nach nicht die Daten Verstorbe-ner.13 Da der vorliegende Fall jedoch in Berlin angesiedelt ist, könnte man an eine Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 BlnDSG denken. Diese Vorschrift erweitert den Anwen-dungsbereich des Berliner Datenschutzgesetzes auch auf Verstorbene. Das Berliner Datenschutzgesetz gilt jedoch nicht für die Datenverarbeitung im nicht öffentlichen Be-reich, sodass sich ein Rückgriff hierauf im konkreten Fall verbietet. Es verbleibt daher alleine bei der Regelung des § 34 BDSG.

Die Rechtsgrundlage § 34 BDSG ist namentlich von Mar-tini14 sowie Solmecke/Köbrich/Schmitt15 in die Diskussion gebracht worden. Die Anwendbarkeit des Bundesdaten-schutzgesetzes wird von diesen Autoren damit begründet, dass die Unanwendbarkeit der Regelungen des Bundes-datenschutzgesetzes sowohl praktisch problematisch als auch mangels anderweitiger gesetzlicher Regelungen ju-ristisch nicht vertretbar sei. Die Anwendung der Vorschrift des § 34 BDSG folge daraus, dass die Betroffenenrechte nach §§ 33–35 BDSG auf den Erben übergehen müssen, da ansonsten die persönlichen Daten des Erblassers voll-kommen schutzlos wären. Geht man jedoch von einer An-wendbarkeit des § 34 BDSG aus, stellt dies eine analoge Anwendung – möglicherweise sogar eine doppelte Ana-logie – dar, nämlich auch in Bezug auf § 3 Abs. 1 BDSG (Betroffener). Voraussetzung für eine Analogie wäre aber zunächst eine planwidrige Gesetzeslücke. Folgt man der

wohl h.M., dass das Bundesdatenschutzgesetz nicht die Daten Verstorbener schützen soll, ist die Gesetzeslücke aber keineswegs als planwidrig, sondern im Gegenteil als Teil des Gesamtkonzeptes anzusehen, das den Verstorbe-nen auch hinsichtlich seiner Daten nicht als rechtlos be-trachtet, sondern ihm auch hierzu den Schutz seiner Men-schenwürde und seines Persönlichkeitsrechts postmortal zukommen lässt, sodass die Verpflichtung zum Schutz der Daten des Verstorbenen sich unmittelbar aus dem Grund-gesetz herleiten lässt.16

Will man den von der Gegenmeinung festgestellten Befund der angeblichen datenschutzrechtlichen Rechtlosstellung ändern, kann nicht eine extensive und gegen den Wortlaut der Vorschriften erfolgende Auslegung bzw. eine (doppelte) Analogie zu diesem Ergebnis führen, sondern der Gesetz-geber muss hierfür die gesetzlichen Grundlagen zur Verfü-gung stellen.

D. Ausblick

Die Entscheidung des Landgerichts stellt eine erste Stel-lungnahme eines Gerichts zu einem noch nicht gelösten Rechtsproblem dar. Das Urteil ist eine Momentaufnahme und ist in Teilen durch heute veränderte Bedingungen von Facebook bereits überholt. Jedenfalls besteht durch das Urteil des LG Berlin im Bereich des Digitalen Nachlasses nicht wesentlich mehr „Klarheit“.17 Der Verfasser dieser Anmerkung plädiert daher für eine gesetzliche Regelung der Streitfragen, die in den nächsten Jahren mit dem Älter-werden der ersten Online- bzw. WWW-Generation zuneh-mend an Bedeutung gewinnen werden.

12 Siehe C. IV. 2.13 Gola/Schomerus, BDSG, § 3 Rn. 12.14 Martini, JZ 2012, 1145 ff.15 Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 ff.16 Gola-Schomerus, BDSG, § 3 Rn. 12.17 Um damit eine Formulierung aus Weidlich in: Palandt, BGB, 75. Aufl.

2016, § 1922 Rn. 34, aufzugreifen.

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Arbeitsrecht

A. Sachverhalt

Im August 2013 meldete die Presse: „Zugchaos von Mainz – Zugverkehr eingeschränkt – das ist Anfang August die wich-tigste Zeile auf der Anzeigetafel im Mainzer Hauptbahnhof. Die Bahn leitet zunächst in den Abendstunden zahlreiche Züge um den Mainzer Hauptbahnhof herum. Dann fallen auch tagsüber zahlreiche Züge und S-Bahnen aus.“1

Was war passiert? „Weil fast die Hälfte der Fahrdienstleiter in Urlaub oder krank ist, herrscht am Mainzer Hauptbahn-hof seit rund einer Woche Chaos mit Zugausfällen und Um-leitungen. Um für Entlastung zu sorgen, will die Deutsche Bahn Mitarbeiter bitten, freiwillig ihren Urlaub zu unterbre-chen. Es besteht aber kein Zwang...“, sagte ein Sprecher.

Eine der beiden Bahngewerkschaften wies die Forderung zurück, Mitarbeiter aus dem Urlaub zu holen. „Unsere Kolleginnen und Kollegen brauchen ihren Erholungsurlaub dringend. Jetzt den Kollegen den Schwarzen Peter zuschie-ben, die ihren Erholungsurlaub dringend brauchen, ist ein-fach nur schäbig ...“.2

Ob schäbig oder nicht: Weil in Zeiten knapp bemessener Personalausstattung in der Haupturlaubszeit eine Perso-naleinsatzplanung nicht nur bei der Bahn schnell Makula-tur sein kann, lohnt ein Blick auf die Rechtslage.3

B. Dogmatischer Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die in hohem Maße verdienstvolle Rückbesinnung der Urlaubsrechtsprechung auf das allgemeine Zivilrecht, insbesondere auf die Rechts-geschäftslehre und das Leistungsstörungsrecht des BGB.

I. Rechtsprechung vor 1980

Vor 1980 zeichnete sich die Rechtsprechung auf dem Ge-biet des Urlaubsrechts dadurch aus, dass viele Rechtsfragen durch Billigkeitserwägungen gelöst wurden.4 Zudem führte die damalige Einordnung des Arbeitsverhältnisses als per-sonenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis im Urlaubsrecht zu „frei erfundenen Konstruktionen“.5 Häufig wurde ein Ergebnis aus dem Zweck des Urlaubs, der den Ausgangs-punkt für Überlegungen zum Rechtsmissbrauch darstellte, abgeleitet.6 Aus heutiger Sicht erscheint verblüffend, wie sehr die damalige – dogmatisch eher freie – Herangehens-

weise des BAG der Argumentation und „Methodik“ in neu-eren urlaubsrechtlichen Entscheidungen7 (und nicht nur dort)8 des EuGH ähnelt.

II. Neuere Rechtsprechung

Die Rückkehr zu einer methodengebundenen Auslegung des BUrlG kündigte sich mit dem Urteil des BAG vom 18.06.1980 durch Distanzierung von einigen bis dahin in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen

Urlaubsabbruch (nur) in Extremfällen?

VRiLAG Reinhard Schinz

1 FR vom 11.08.2013.2 Zitat laut FR vom 11.08.2013.3 Die Frage eines Aufwendungsersatzanspruchs des Arbeitnehmers soll

hier nicht thematisiert werden.4 Vgl. zur Frage des rechtsmissbräuchlichen Urlaubsverlangens eines

Arbeitnehmers, der im Urlaubsjahr länger krank war, BAG, Urt. v. 23.06.1966 - 5 AZR 541/65 - AP Nr. 2 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch.

5 So Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, Einleitung Rn. 17 unter Bezugnahme auf BAG, Urt. v. 13.11.1969 - 5 AZR 82/69 - BAGE 22, 211 mit dem Leitsatz: „Der Urlaubsanspruch verfällt im Falle nicht zeitgerechter Geltendmachung dann nicht, wenn der Arbeitnehmer infolge langdauernder Arbeitsunfähigkeit daran gehindert war, den Urlaub vor Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übergangszeitraums des BUrlG § 7 Abs 3 S 3 durchzuführen.“.

6 Siehe z.B. BAG, Urt. v. 18.02.1963 - 5 AZR 357/62 - AP Nr. 88 zu § 611 BGB Urlaubsrecht mit dem Leitsatz: „Die Geltendmachung eines an-teiligen Urlaubsabgeltungsanspruchs (...) stellt auch dann keinen Rechtsmißbrauch dar, wenn der Arbeitnehmer infolge unverschuldeter Krankheit nur 2 1/2 Monate tatsächliche Arbeitsleistungen (...) erbracht hat. Der Einwand, daß infolge des Eintritts dauernder Arbeitsunfähig-keit des Arbeitnehmers der Zweck des Urlaubs, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich für neue Arbeit zu kräftigen, hinfällig werde und aus diesem Grunde das Urlaubsbegehren rechtsmißbräuchlich sei, wider-spricht bei Berücksichtigung des Umstandes, daß der Urlaub ebenso der Erholung von geleisteter Arbeit dient, den Grundsätzen des BGB § 242 und ist deshalb nicht geeignet, die Annahme eines unter den gegebenen Umständen in der Geltendmachung eines Urlaubsabgel-tungsanspruchs liegenden Rechtsmißbrauchs zu rechtfertigen.“.

7 Siehe z.B. EuGH, Urt. v. 12.06.2014 - C-118/13 - „Bollacke“ sowie EuGH, Beschl. v. 13.06.2013 - C-415/12 - „Brandes“.

8 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.07.2013 - C-426/11 - „Alemo-Herron“; kritisch hierzu insbesondere BAG, EuGH-Vorlage v. 17.06.2015 - 4 AZR 61/14 (A) - „Asklepios“; Wißmann, RdA 2015, 301; Prassl, Freedom of Contract as a General Principle of EU Law? Transfers of Undertakings and the Protection of Employer Rights in EU Labour Law, Industrial Law Journal, Vol. 42, No. 4, December 2013, 434, 440; Prassl, Business Freedoms and Employment Rights in the European Union, Cambridge Yearbook of Eu-ropean Legal Studies, September 2015, 1; LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03.12.2014 - 24 Sa 1126/14 - AE 2015, 126 - „Asklepios“.

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Die Monatszeitschrift

an.9 1982 hat das BAG dann mit zwei Entscheidungen end-gültig den Bruch mit der früheren Rechtsprechungstraditi-on vollzogen und „kompromisslos und konsequent“10 die ersten beiden Bücher des BGB und die Regeln der juristi-schen Methodenlehre angewandt.

Diese Rückbesinnung auf das Zivilrecht hat allerdings ih-ren Preis. In bisher jeder Lehrveranstaltung zum Urlaubs-recht hat der Verfasser die Erfahrung gemacht, dass es in Deutschland zwei Urlaubsrechte zu geben scheint: das des Gesetzes in der Auslegung durch das BAG und das der be-trieblichen Praxis (in höchst diversen Erscheinungsformen, die allerdings eines gemeinsam zu haben scheinen: Die „richtige“ Rechtslage ist unbekannt oder wird als „unge-recht“ empfunden und ignoriert). Teilweise hat die Recht-sprechung sich damit arrangiert und versucht, bestimmte Praktiken in das Normkonzept einzupassen (Beispiel: für den Arbeitnehmer günstigere Übertragung auch des ge-setzlichen Mindesturlaubs durch betriebliche Übung),11 teilweise hat sie allgemein akzeptierte und als „gerecht“ empfundene Vertragsregeln (z.B. Pro-rata-temporis-Klau-seln für das Ein- bzw. Austrittsjahr, die nicht zwischen Min-dest- und Mehrurlaub unterscheiden)12 rigoros verworfen. Gleichwohl: Die Rechtspraxis verdankt dieser „Wende“ der Rechtsprechung ein dogmatisches System, mit dessen Hilfe alle Anwendungsprobleme rechtssicher lösbar waren, auch wenn dabei gelegentlich als unbefriedigend empfundene Ergebnisse erzielt wurden.13

III. EuGH

Verwässert wurde die dogmatische Klarheit in der Fol-ge, insbesondere seit dem Urteil Schultz-Hoff im Januar 2009,14 durch die Rechtsprechung des EuGH, in welcher der Verfasser nicht durchgehend ein methodengebunde-nes Konzept erkennen kann. Die deutsche Arbeitsgerichts-barkeit hat diese Rückentwicklung notgedrungen (häufig zähneknirschend)15 nachvollzogen – auch wenn nicht nur die Argumentation des Gerichtshofs Fragen offenlässt, sondern gelegentlich auch die Ergebnisse kaum vermit-telbar sind.16

C. Erfüllung des Urlaubsanspruchs

Gegenwärtiger Stand der Erkenntnis nach der neueren Rechtsprechung ist, dass der Arbeitgeber mit der Frei-stellung des Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung und der Zahlung oder wenigstens vorbehaltlosen Zusage der Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs den Urlaubsan-spruch erfüllt.17 Es bedarf keiner Vereinbarung der Arbeits-vertragsparteien über die zeitweise Suspendierung der Ar-beitspflicht zwecks Erfüllung des Urlaubsanspruchs.18 Für

die Bewirkung der Leistung gelten die Rechtsgeschäftsleh-re und das Schuldrecht.

I. Erfüllungshandlung

Die Freistellung ist eine Willenserklärung, für die die allge-meinen Grundsätze der §§ 104 ff. BGB, insbesondere die Bestimmungen über den Zugang, die Auslegung und die Grundsätze der Beweislastverteilung gelten.19 Unter der Herrschaft der deutschen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts kann die Freistellungserklärung vom Arbeitge-ber nicht wirksam mit einem Vorbehalt oder einer ähnlichen Einschränkung versehen werden. Zwar kann eine Leistung unter Vorbehalt eine ordnungsgemäße Erfüllung sein, wenn der Schuldner lediglich die Wirkung des § 814 BGB aus-schließen und sich Bereicherungsansprüche offenhalten will, soweit nachträglich das Nichtbestehen einer Forderung auf die erbrachte Leistung festgestellt wird. Ein solcher Vorbe-halt bei der Urlaubserteilung scheitert aber daran, dass die tatsächliche Freistellung von der Arbeitspflicht nicht rück-abgewickelt werden und daher einem Anspruch nach § 812 Abs. 1 BGB nicht unterliegen kann.20 Hat der Arbeitgeber die Freistellungserklärung mit einem Widerrufsvorbehalt verse-hen, ist eine zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs geeignete Befreiungserklärung nicht gegeben. Die Unwiderruflichkeit ist Voraussetzung einer wirksamen Urlaubserteilung.21

II. Kein Widerrufsrecht im Normalfall

Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind daher an den Zeitraum des ordnungsgemäß erteilten Urlaubs gebunden; eine ein-seitige Änderung ist grds. nicht möglich. Denn durch die vom Arbeitgeber erklärte Freistellung ist eine Konkretisie-rung des Urlaubsanspruchs (§ 243 Abs. 2 BGB) auf diesen

9 BAG, Urt. v. 18.06.1980 - 6 AZR 328/78 - AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit.

10 Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, Einleitung Rn. 96.11 BAG, Urt. v. 21.06.2005 - 9 AZR 200/04 - AP Nr. 89 zu § 7 BUrlG

Abgeltung.12 BAG, Urt. v. 16.12.2014 - 9 AZR 295/13 Rn. 16 ff.13 Vgl. zur Kritik die Nachweise bei Schinz in: Henssler/Willemsen/Kalb,

Arbeitsrecht, § 7 BUrlG Rn. 70.14 EuGH, Urt. v. 20.01.2009 - C-350/06.15 Vgl. BAG, Urt. v. 10.02.2015 - 9 AZR 53/14: „angesichts der mögli-

chen widersinnigen Folgen des Quotierungsverbots (...)“.16 Vgl. insbesondere die Entscheidungen EuGH, Urt. v. 12.06.2014 -

C-118/13 - „Bollacke“ sowie EuGH, Beschl. v. 13.06.2013 - C-415/12 - „Brandes“.

17 BAG, Urt. v. 10.02.2015 - 9 AZR 455/13.18 A.A. Seel, MDR 2013, 1385.19 BAG, Urt. v. 23.01.1996 - 9 AZR 554/93 - AP Nr. 10 zu § 5 BUrlG.20 BAG, Urt. v. 01.10.1991 - 9 AZR 290/90 - AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG.21 BAG, Urt. v. 14.03.2006 - 9 AZR 11/05 - AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG; BAG,

Urt. v. 10.02.2015 - 9 AZR 455/13.

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Zeitraum eingetreten, sodass es einer Vereinbarung der Ar-beitsvertragsparteien zur Neubegründung eines Urlaubsan-spruchs zu einem anderen Zeitpunkt bedarf. Daher hat der Arbeitnehmer unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ei-nen Anspruch auf Neuerteilung des Urlaubs zu einem an-deren Zeitpunkt. Der Arbeitnehmer kann den Urlaub auch nicht „abbrechen“ oder „zurückgeben“ und seine Arbeit anbieten; der Arbeitgeber, der ein solches Angebot nicht annimmt, gerät nicht in Annahmeverzug.

Entgegen einer in der Praxis weitverbreiteten Auffassung steht dem Arbeitgeber ein „Widerrufsrecht“ hinsichtlich des erteilten gesetzlichen Urlaubs nach diesen Grundsät-zen nicht zu. Das BUrlG gewährt dem Arbeitgeber keinen Anspruch gegen den Arbeitnehmer, den gewährten Urlaub abzubrechen oder zu unterbrechen.22 Hat der Arbeitgeber die Leistungszeit bestimmt, in der der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers i.S.v. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt werden soll, und sie dem Arbeitnehmer auch mitgeteilt, hat er als Schuldner des Urlaubsanspruchs die für die Erfüllung des Freistellungsanspruchs erforderliche Leistungshandlung i.S.v. Absatz 1 vorgenommen. An den Inhalt dieser Erklä-rung ist er gebunden. Insbesondere kann aus § 242 BGB (Treuepflicht) grds. nicht eine Verpflichtung des Arbeitneh-mers hergeleitet werden, bei Personalengpässen den Ur-laub zu verschieben oder gar den Urlaub zu unterbrechen oder abzubrechen..23 Ein etwa vereinbartes Widerrufsrecht ist hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs nichtig, § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, § 134 BGB.

III. „Echte“ Notfälle

Ob in „echten“ Notfällen etwas anderes gilt, ist bisher nicht geklärt.

1. Rechtsprechung

Der Urlaubssenat des BAG hat die Frage bisher ausdrück-lich offengelassen.24 Der Kündigungssenat des BAG hat im Jahre 1991 ohne Erörterung der vom Urlaubssenat seit 1982 erarbeiteten Grundlagen ausgeführt, ein einmal er-teilter Urlaub binde den Arbeitgeber grds; der Arbeitgeber könne den „genehmigten“ Urlaub nur in Notfällen wider-rufen. Dabei müsse es sich um zwingende Notwendigkeiten handeln, welche einen anderen Ausweg nicht zuließen.25 Dass diese Frage bisher nur den Kündigungssenat, nicht aber den Urlaubssenat des BAG beschäftigt hat, verwun-dert nicht. In der Praxis wird die Berechtigung eines erfolg-ten Widerrufs nicht isoliert als urlaubsrechtliches Problem die Gerichte beschäftigen, sondern als Vorfrage in einem Kündigungsschutzprozess, wenn nämlich der Arbeitnehmer einer Aufforderung zur Rückkehr an den Arbeitsplatz nicht Folge leistet und der Arbeitgeber daraufhin wegen „Ar-beitsverweigerung“ kündigt.

2. Literatur

Im Schrifttum wird überwiegend vertreten, dass dem Ar-beitgeber (nur) die allgemeinen Beseitigungsrechte des BGB (Anfechtung, Anpassung wegen Wegfalls der Ge-schäftsgrundlage [§ 313 BGB], Kondiktion) zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe sich auch Notfälle lösen lassen.26 Dies bedarf einer näheren Betrachtung.

3. Anfechtung

Für die hier zu erörternde Problematik des in der Haupt-urlaubszeit unerwartet eingetretenen Personalmangels kommt eine Anfechtung der Freistellungserklärung wegen Täuschung oder Drohung offensichtlich nicht in Betracht. Ein Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 1 Fall 1 BGB (Irrtum über den Erklärungsinhalt) dürfte regelmäßig fehlen, wenn der Arbeitgeber bei der Prüfung der Urlaubsanträge und der Bewilligung des Urlaubs eine bestimmte Personalstär-ke und eine durchschnittliche Krankenquote angenommen hat. Erweist sich während der Haupturlaubszeit wieder einmal, dass Prognosen schwierig sind, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen,27 handelt es sich regelmäßig um einen verdeckten Kalkulationsirrtum, der als unerheblicher Motivirrtum kein Anfechtungsrecht begründet.28 Ein Kalku-lationsirrtum berechtigt selbst dann nicht zur Anfechtung, wenn der Erklärungsempfänger diesen erkannt oder die Kenntnisnahme treuwidrig vereitelt hat; allerdings kann der Erklärungsempfänger unter den Gesichtspunkten des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen oder der unzuläs-sigen Rechtsausübung verpflichtet sein, den Erklärenden auf seinen Kalkulationsfehler hinzuweisen.29 Im Fall der Bahn dürften die Arbeitnehmer darauf verweisen können, dass ihre Repräsentanten (Betriebsräte, Gewerkschaften) genauso regelmäßig wie vergeblich die zu kurze Personal-decke beklagen und deshalb die Bahn das Chaos allein zu vertreten habe – dies dürfte zu der Bewertung „schäbig“ durch einen Gewerkschaftsvertreter geführt haben.

22 BAG, Urt. v. 20.06.2000 - 9 AZR 405/99 - AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG; BAG, Urt. v. 14.03.2006 - 9 AZR 11/05 - AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG.

23 BAG, Urt. v. 20.06.2000 - 9 AZR 405/99 - AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG.24 BAG, Urt. v. 20.06.2000 - 9 AZR 405/99 Rn. 26.25 BAG, Urt. v. 19.12.1991 - 2 AZR 367/91 - RzK I 6a Nr 82.26 Gallner in: ErfK, § 7 BUrlG Rn. 27; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht,

2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn. 55; Schinz in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 7 BUrlG Rn. 43; Lampe in: BeckOK BUrlG, § 7 Rn. 15; Düwell in: Hümmerich/Boecken/Düwell, NKArbR, § 7 BUrlG Rn. 74; Neumann/Fenski (Rn. 38 zu § 7 BUrlG) meinen, der Arbeitgeber kön-ne in Notfällen den Arbeitnehmer aus dem Urlaub zurückrufen, ohne hierfür eine Rechtsgrundlage zu nennen.

27 Diese Erkenntnis wird Karl Valentin, Mark Twain oder Niels Bohr zu-geschrieben.

28 BGH, Urt. v. 07.07.1998 - X ZR 17/97.29 BGH, Urt. v. 07.07.1998 - X ZR 17/97.

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4. Unmöglichkeit

Wenig hilfreich ist auch § 275 Abs. 2 BGB.

a. Danach hat der Schuldner ein Leistungsverweigerungs-recht, wenn eine im Grundsatz überwindbare Leistungs-schwierigkeit besteht, die Leistung aber einen Aufwand verlangt, der in einem groben Missverhältnis zum Leis-tungsinteresse des Gläubigers steht. Zur Feststellung die-ses groben Missverhältnisses sollen beachtet werden der Inhalt des Schuldverhältnisses, die Gebote von Treu und Glauben und der Umstand, ob der Schuldner das Leis-tungshindernis zu vertreten oder nicht zu vertreten hat. Die Unverhältnismäßigkeit muss ein unmöglichkeitsähnli-ches Ausmaß erreicht haben; sie soll so eklatant sein, dass von einer „faktischen“ oder „praktischen“ Unmöglichkeit gesprochen werden kann.30 Nach Satz 2 sind dabei an den Schuldner, der das Hindernis zu vertreten hat, stren-gere Anforderungen zu stellen als an den Schuldner, den diese Umstände unverschuldet getroffen haben.

b. Im Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit, dass wirt-schaftliche Unmöglichkeit, bei der die für die Erbringung der Leistung erforderlichen Anstrengungen außer Verhält-nis zu den eigenen Interessen des Schuldners stehen, nicht unter § 275 Abs. 2 BGB, sondern unter § 313 BGB fällt.31 Maßgeblicher Unterschied zwischen der wirtschaftlichen und der faktischen Unmöglichkeit ist der jeweilige Bezugs-punkt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung: Wäh-rend bei der wirtschaftlichen Unmöglichkeit auf die Inter-essen des Schuldners abzustellen ist, kommt es nach § 275 Abs. 2 BGB darauf an, welches Interesse der Gläubiger an der Erfüllung des Primäranspruchs hat.32

c. Auch die Rechtsfolgenanordnung des § 275 Abs. 2 BGB hilft dem Arbeitgeber nicht. Da er die Freistellungserklä-rung bereits abgegeben, also schon geleistet hat, nützt ihm das nach Urlaubserteilung entstehende Leistungsverwei-gerungsrecht nichts. Er kann die Leistung – seine Freistel-lungserklärung – auch nicht kondizieren. Selbst wenn der Schuldner zum Leistungszeitpunkt keine Kenntnis von dem ihm durch seine Leistung entstehenden unverhältnismäßi-gen Aufwand hatte, wird in der Literatur – entgegen § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB – die Rückforderung nicht zugelassen.33

5. Geschäftsgrundlage

Eine Lösung des Problems des Arbeitgebers über die Grund-sätze der Störung bzw. des Wegfalls der Geschäftsgrundla-ge ist dogmatisch schwierig und – wenn überhaupt – nur in Extremfällen möglich.

a. In der Literatur wird – meist ohne eingehende Analyse – angenommen, dass denkbar „allenfalls“ eine Wiederher-stellung der Arbeitspflicht gem. § 313 BGB sei.34 Diese

vorsichtige Formulierung könnte darauf zurückzuführen sein, dass § 313 BGB nach überwiegender Meinung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung35 und Literatur36 nur für schuldrechtliche Verträge gilt, nicht aber für einseiti-ge Rechtsgeschäfte. Dies liegt nach der systematischen Stellung und dem Telos der Vorschrift nahe; denn anders als bei Verträgen gibt es beim einseitigen Rechtsgeschäft grds. keine Rechtfertigung für eine über die Anfechtung hinausgehende Aufhebungsmöglichkeit, weil das einseiti-ge Rechtsgeschäft allein vom Erklärenden gestaltet wird, seiner Willensdurchsetzung dient und deshalb allein in sein Risiko fällt.37 Umgekehrt führen unvorhergesehene Verän-derungen von Umständen nicht dazu, dass der Empfänger die Erklärung des anderen mit dem Argument angreifen könnte, ihre „Grundlage“ sei entfallen. Im Arbeitsrecht beruht hierauf der Grundsatz, dass es für die Wirksamkeit einer Kündigung auf die Verhältnisse (und die darauf ge-stützte Prognose) zum Zeitpunkt des Zugangs ankommt.38

b. Diskutiert wird allerdings, ob eine andere Bewertung dann gerechtfertigt sei, wenn das einseitige Rechtsgeschäft im Einvernehmen mit der anderen Partei anstelle einer vertrag-lichen Regelung vorgenommen wird und sich deshalb die Interessenlage nicht von derjenigen eines Vertrags unter-scheidet.39 Im Fall der Urlaubserteilung ist dies vorstellbar, wenn der Arbeitgeber den Urlaubsantrag des Arbeitnehmers unter Hinweis auf Personalknappheit zum gewünschten Ur-

30 Begr. RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 129 re. Sp.31 BT-Drs. 14/6040, S. 130; Ernst in: MünchKomm BGB, § 275 Rn. 21;

Grüneberg in: Palandt, BGB, § 275 Rn. 21; Canaris, JZ 2001, 499, 501; Unberath in: BeckOK BGB, § 275 Rn. 33; Stadler in: Jauernig, BGB, § 313 Rn. 17, § 275 Rn. 11; Schulze in: HK BGB, § 275 Rn. 20.

32 Schulze in: HK BGB, § 275 Rn. 20.33 Ekkenga/Kuntz in: Soergel, BGB, § 275 Rn. 167; Ernst in: MünchKomm

BGB, § 275 Rn. 97.34 Gallner in: ErfK, § 7 BUrlG Rn. 27; ähnlich Leinemann/Linck, Urlaubs-

recht, 2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn. 55; Schinz in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 7 BUrlG Rn. 43; Lampe in: BeckOK BUrlG, § 7 Rn. 15; Düwell in: Hümmerich/Boecken/Düwell, NKArbR, § 7 BUrlG Rn. 74; kritisch Holthaus in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Ar-beitsrecht, § 7 BUrlG Rn. 42.

35 BGH, Urt. v. 20.11.1969 - III ZR 93/69; BGH, Urt. v. 25.11.1992 - IV ZR 147/91; OLG Rostock, Beschl. v. 01.09.1993 - 3 W 44/93 - OLG-NL 1994, 40, 42; LG Berlin, Beschl. v. 06.12.1990 - 83 T 323/90; siehe auch BAG, Urt. v. 06.02.1992 - 2 AZR 408/91.

36 Grüneberg in: Palandt, BGB, § 313 Rn. 8; Böttcher in: Erman, BGB, § 313 Rn. 14; Pfeiffer in: jurisPK BGB, § 313 Rn. 95; differenzierend Finkenauer in: MünchKomm BGB, § 313 Rn. 50.

37 Finkenauer in: MünchKomm BGB, § 313 Rn. 50.38 Siehe BAG, Urt. v. 27.02.1997 - 2 AZR 160/96 - AP KSchG 1969 § 1

Wiedereinstellung Nr. 1; Preis in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungs-recht, Grundlagen D, Rn. 11.

39 Finkenauer in: MünchKomm BGB, § 313 Rn. 50; Pfeiffer in: jurisPK BGB, § 313 Rn. 95; Teichmann in: Soergel, BGB, § 313 Rn. 43; beja-hend bei einem gegenüber einer Behörde erklärten Verzicht BVerwG, Urt. v. 15.11.2012 - 7 C 15/12 Rn. 40.

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laubszeitpunkt zunächst ablehnt, jedoch auf erneut geäußer-ten Wunsch des Arbeitnehmers den Urlaub bewilligt und der Arbeitnehmer einem vom Arbeitgeber ausbedungenen Wi-derrufsrecht für den Fall eines Personalnotstandes zustimmt. Wie oben dargestellt, ist hinsichtlich des gesetzlichen Ur-laubs die Vereinbarung nichtig. Jedoch ist im Beispielsfall der Urlaub im Einvernehmen und auf der für den Arbeitnehmer erkennbaren Grundlage erteilt worden, dass der Betrieb mit dem verbleibenden Personal aufrechterhalten werden kann.

c. Dieser Lösungsansatz eröffnet jedoch nicht den Weg zu einem Widerrufsrecht des Arbeitgebers bei Personaleng-pässen nach Urlaubserteilung.

Eine Beseitigung der Freistellungserklärung nach diesem Verständnis des § 313 BGB kommt zunächst dann nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber nicht einem Urlaubs-wunsch des Arbeitnehmers entsprochen, sondern von sich aus Urlaub erteilt hat. Dies dürfte in der Praxis bisher der Ausnahmefall sein.40

Bei einer Urlaubserteilung gemäß den Wünschen des Ar-beitnehmers käme nach der oben dargestellten Auffas-sung zwar eine entsprechende Anwendung des § 313 BGB in Betracht. Als Rechtsfolge müsste statt der in Absatz 3 vorgesehenen Gestaltungsrechte Rücktritt bzw. Kündigung das für einseitige Rechtsgeschäfte passende Widerrufsrecht gelten. Das besondere urlaubsrechtliche Problem liegt je-doch in dem Tatbestand des § 313 Abs. 1 BGB und in den in § 7 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 BUrlG zum Ausdruck kom-menden gesetzlichen Wertungen.

§ 313 Abs. 1 BGB macht insbesondere die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung zum Beurteilungsmaßstab. Die Risikozuweisung ist die entscheidende Frage im Tatbestand einer Grundlagenprüfung.41 Verwirklicht sich das Risiko, das nach dem vereinbarten oder typischen Vertragsinhalt derje-nige zu tragen hat, der sich auf die Störung beruft, ist § 313 BGB unanwendbar.42 Bei Verträgen trägt der Anbietende das Risiko dafür, dass er sich bei seinem Angebot nicht geirrt, sei-ne eigene Leistung richtig bewertet, auskömmlich kalkuliert hat.43 Eine abweichende Risikoverteilung ist unter Umstän-den dann gerechtfertigt, wenn die andere Partei sich am Ri-siko beteiligt hat, etwa wenn sie am Geschäftserfolg der das Risiko tragenden Partei partizipiert.44

Aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist unschwer abzuleiten, dass der Gesetzgeber das Risiko des Entstehens betrieblicher Be-lange, die einer Freistellung eines Arbeitnehmers entgegen-stehen, nach Abgabe der Freistellungserklärung und damit nach Konkretisierung des Urlaubszeitraums dem Arbeitge-ber zugewiesen hat. Denn das Leistungsverweigerungsrecht in § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, das dem Urlaubswunsch eines Arbeitnehmers entgegengestellt werden kann, steht dem Arbeitgeber nur bis zur Vornahme der Leistungshandlung zu.45 Er ist daher darauf verwiesen, seine Personalplanung

so zu gestalten und die Personalmenge so zu bemessen, dass nicht nur der „Gaußschen Normalverteilung“ der Ur-laubswünsche und der Krankenquote Rechnung getragen wird, sondern dass auch überdurchschnittliche Kranken-quoten während der Haupturlaubszeit (Sommerferien) – notfalls provisorisch – abgedeckt werden können.

Aus § 13 Abs. 1 BUrlG folgt wiederum, dass diese gesetz-liche Risikoverteilung unabdingbar ist. Eine privatautonom gestaltete Beteiligung des Arbeitnehmers am Betriebsrisiko des Arbeitgebers – in Gestalt einer unvorhersehbaren Per-sonalknappheit und daraus resultierender wirtschaftlicher Schäden oder eines Imageverlustes – lässt das Gesetz für den Mindesturlaub nicht zu.

Diese Wertung kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass dem Arbeitgeber über § 313 Abs. 3 BGB ein Widerrufsrecht für den Fall zugebilligt wird, dass eine gemeinsame Vorstel-lung der Parteien über eine Vertretungsregelung während des Urlaubs durch Erkrankung des Vertreters o.Ä. hinfällig wird oder dass dem Arbeitgeber aus sonstigen Gründen we-gen eines plötzlich eintretenden Personalengpasses erhebli-che Schäden drohen. Ein solches Ergebnis kann auch nicht mit einem Rückfall in die Kategorien des „personenrechtli-chen Gemeinschaftsverhältnisses“ und der aus ihm abgelei-teten „Treupflicht“ des Arbeitnehmers46 erzielt werden. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB geht unabhängig von den Rechtsfolgen einer Pflichtver-letzung nicht weiter als eine etwaige Befugnis des Arbeitge-bers aus § 313 Abs. 3 BGB, das entstandene Problem durch Widerruf der Freistellungserklärung zu lösen.

d. Eine beachtliche Störung der Geschäftsgrundlage kann daher tatsächlich nur in Extremfällen angenommen werden. Zur Konkretisierung des Begriffs „Extremfall“ kann wegen der urlaubsrechtlichen Besonderheiten allerdings nicht auf die häufig bemühte Formel der Zivilrechtsprechung zurück-gegriffen werden, wonach die Berufung auf eine Grundla-genstörung zulässig sei, wenn „dies zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu verein-barenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich er-

40 Dies dürfte sich ändern, falls das BAG der Auffassung der 21. Kammer des LArbG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 12.06.2014 - 21 Sa 221/14) folgt, wonach der Arbeitgeber ohne Weiteres in Schuldnerverzug ge-rät, wenn er Urlaub nicht von sich aus erteilt.

41 Finkenauer in: MünchKomm BGB, § 313 Rn. 59.42 BAG, Urt. v. 23.11.2004 - 9 AZR 595/03; BGH, Urt. v. 21.09.2005 - XII

ZR 66/03.43 BGH, Urt. v. 10.09.2009 - VII ZR 82/08.44 Finkenauer in: MünchKomm BGB, § 313 Rn. 71.45 Zu den Einzelheiten s. Schinz in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeits-

recht, § 7 BUrlG Rn. 26 ff.46 Vgl. hierzu Müller-Glöge in: MünchKomm BGB, § 611 Rn. 982.

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scheint“.47 Denn die dargestellte gesetzliche Risikozuwei-sung im Urlaubsrecht darf nicht durch allgemeine Zumut-barkeitserwägungen überspielt werden. Allein brauchbar ist das bereits vom Reichsgericht anerkannte Kriterium der drohenden Existenzvernichtung des Schuldners.48 Für die hiesige Fragestellung müsste dies eine Situation sein, in der allein wegen der (fortdauernden) Freistellung des Arbeit-nehmers dem Arbeitgeber ein so hoher Schaden droht, dass dadurch die Existenz des Unternehmens gefährdet würde. Zudem ist zu beachten, dass auch in solchen Extremfällen ein Verschulden des Schuldners der Vertragsanpassung bzw. dem Widerruf entgegenstehen kann.49 Widerruft ein Arbeitgeber unter Berufung auf eine konkrete Existenzge-fährdung eine Freistellungserklärung, so wird im Streitfall zu prüfen sein, ob die Existenzgefährdung nicht durch eine adäquate Risikovorsorge hätte vermieden werden können.

IV. Mehrurlaub

Praktische Bedeutung kann nach dem Vorstehenden in Fällen unerwarteter Personalengpässe nur ein vertraglich vereinbartes Widerrufsrecht erlangen. Da dies für den ge-setzlichen Mindesturlaub an § 13 BUrlG scheitert, bleibt zu untersuchen, ob ein Widerrufsrecht für einen Mehrur-laubsanspruch wirksam vereinbart werden kann.

1. Normativ geltender Tarifvertrag

Bei tarifvertraglichen Mehrurlaubsansprüchen ist zu un-terscheiden, ob der Tarifvertrag normativ oder nur schuld-rechtlich im Arbeitsverhältnis gilt. Denn im ersteren Fall ist § 4 Abs. 4 TVG zu beachten.

a. Gem. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ist ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Es soll sichergestellt werden, dass tarifliche Ansprüche vor dem Hintergrund der sozialen Übermacht der Arbeitgeberseite nicht durch Rechtsgeschäft und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen des Arbeitnehmers untergehen.50 Ein Verzicht liegt vor, wenn der Arbeitnehmer über ein tarifliches Recht in der Art verfügt, dass er dieses Recht verliert oder es nicht mehr durchsetzen kann. Der Ver-zicht ist – mit Ausnahme eines Vergleichs i.S.v. Satz 1 – in jeder Form unzulässig. Damit ist auch die Vereinbarung eines Widerrufsrechts unwirksam, weil der Arbeitnehmer über sei-nen privatautonom nicht abdingbaren Mehrurlaubsanspruch in der Weise verfügt, dass er sein Recht, in dem konkreti-sierten Zeitraum ohne Einkommensverlust nicht zu arbeiten, nach Ausübung des Widerrufsrechts verliert.

b. § 4 Abs. 4 TVG greift jedoch nicht, wenn ein Tarifvertrag nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme, betriebli-cher Übung oder wegen des arbeitsrechtlichen Gleichbe-handlungsgrundsatzes Anwendung findet oder wenn ein

ehedem normativ geltender Tarifvertrag sich in der Nach-wirkung befindet.51

2. Arbeitsvertraglicher Mehrurlaub

Hinsichtlich einzelvertraglich vereinbarter Mehrurlaubsan-sprüche können die Parteien bereits im Arbeitsvertrag ein Wi-derrufsrecht des Arbeitgebers vereinbaren. Dabei ist es auch bei klauselmäßiger Vereinbarung nicht erforderlich, dass das Widerrufsrecht unter eine bestimmte Voraussetzung gestellt wird (z.B. dringende betriebliche Belange, Personalnot). Vertragliche Mehrurlaubsklauseln unterliegen keiner unein-geschränkten Inhaltskontrolle (Angemessenheitskontrolle) gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da sie nicht von Rechtsvor-schriften abweichende oder diese ergänzende Regeln auf-stellen, § 307 Abs. 3 BGB. Sie sind daher nur bei einem Ver-stoß gegen das Transparenzgebot wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam (§ 307 Abs. 3 Satz 2 BGB, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB).52

Allerdings wird eine Klausel, die hinsichtlich eines Widerrufs-rechts nicht zwischen dem gesetzlichen Mindest- und dem Mehrurlaub unterscheidet, regelmäßig unwirksam sein. Eine vertragliche Widerrufsregelung, die nicht nur den disponib-len Mehrurlaub, sondern auch den mit zwingender Wirkung für die Arbeitsvertragsparteien gesetzlich geregelten Min-desturlaub erfasst, ist komplett unwirksam. Eine geltungser-haltende Reduktion der Klausel auf den Mehrurlaub scheidet ebenso aus wie eine ergänzende Vertragsauslegung.53

3. Widerrufsvereinbarung im Einzelfall

Eine Widerrufsvereinbarung, die nur aus Anlass der kon-kreten Urlaubserteilung und nur für einen bestimmten Ur-laubszeitraum getroffen wird, ist in gleicher Weise zulässig,

47 BGH, Urt. v. 29.04.1982 - III ZR 154/80 - BGHZ 84, 1, 9; BGH, Urt. v. 25.02.1993 - VII ZR 24/92 - BGHZ 121, 379, 393; BGH, Urt. v. 05.01.1995 - IX ZR 85/94 - BGHZ 128, 230, 238; BGH, Urt. v. 04.07.1996 - I ZR 101/94 - BGHZ 133, 281, 295; BGH, Urt. v. 26.09.1996 - I ZR 265/95 - BGHZ 133, 316, 321; BGH, Urt. v. 22.12.2004 - VIII ZR 41/04; BGH, Urt. v. 08.02.2006 - VIII ZR 304/04; BGH, Urt. v. 01.02.2012 - VIII ZR 307/10 Rn. 30.

48 RG, Urt. v. 02.12.1919 - VII 303/19 - RGZ 98, 18; RG, Urt. v. 21.09.1920 - III 143/20 - RGZ 100, 129, 131; RG, Urt. v. 07.06.1921 - III 508/20 - RGZ 102, 273, 274; RG, Urt. v. 25.01.1941 - IV 281/40 - RGZ 166, 40, 49; diese Rechtsprechung hat der BGH fortgesetzt: BGH, Urt. v. 26.05.1955 - II ZR 256/54 - BGHZ 17, 317, 327; DB 1963, 448; LM § 242 (Bb) Nr. 50; BGH, Urt. v. 23.09.1994 - V ZR 113/93; kritisch Finkenauer in: MünchKomm BGB, § 313 Rn. 223.

49 BGH, Urt. v. 19.04.1978 - VIII ZR 182/76.50 Zwanziger in: Däubler, TVG, 3. Aufl. 2012, § 4 Rn. 1061.51 Zwanziger in: Däubler, TVG, 3. Aufl. 2012, § 4 Rn. 1061.52 BAG, Urt. v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 Rn. 94 - BAGE 130, 119.53 Vgl. zu einer pro-rata-temporis-Klausel: BAG, Urt. v. 16.12.2014 -

9 AZR 295/13.

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Mit Regen ist zu rechnen – zur Absage des BSG im Beitragsrecht an eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“BSG, Urt. v. 29.07.2015 - B 12 KR 23/13 R

RiLSG Christian Stotz

A. Problemstellung

Die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen erfreut sich – verständlicherweise – keiner großen Beliebtheit. Während Vorstände von Aktiengesellschaften kraft Gesetzes von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversiche-rung1 und der Arbeitslosenversicherung2 ausgeschlossen sind und sie regelmäßig aufgrund der Höhe ihrer über der Bemessungsgrenze liegenden Bezüge auch nicht der ge-

setzlichen Krankenversicherung unterfallen, stellt sich die Situation bei Geschäftsführern einer GmbH – trotz ver-gleichbarer Interessenlage – oft unübersichtlich dar.

Ausgangspunkt für die Versicherungspflicht ist in allen Bereichen der Sozialversicherung das Vorliegen einer Be-schäftigung i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV.3 Gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Allein die Organstellung eines Geschäftsführers einer GmbH schließt jedenfalls dessen Weisungsabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft oder den (Mit-)Gesellschaftern nicht aus,4 auch wenn er nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Ar-

wenn sie nur den vertraglichen Mehrurlaub betrifft. Sie un-terliegt nur den Gestaltungsrechten aus §§ 119, 123 BGB.

4. Ausübung des Widerufsrechts

Ein bestehendes Widerrufsrecht wird nur dann wirksam ausgeübt, wenn der „widerrufene“ Urlaub bzw. Urlaubsteil zur Erfüllung des Mehrurlaubsanspruchs gewährt wurde. Da Arbeitgeber regelmäßig bei der Urlaubserteilung keine Leistungsbestimmung treffen, ist zu prüfen, welchen Ur-laub der Arbeitgeber widerruft.

a. Differenziert eine Regelung in einem Arbeits- oder Tarif-vertrag hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem überge-setzlichen Mehrurlaub, liegt in Höhe des gesetzlichen Urlaubs Anspruchskonkurrenz mit der Folge vor, dass ein Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung auch ohne ausdrückliche oder konkluden-te Tilgungsbestimmung im Umfang des gesetzlichen Urlaubs beide Ansprüche ganz oder teilweise erfüllt.54 Wird in diesem Fall ein Widerrufsrecht hinsichtlich eines Urlaubsteils verein-bart, der in den ersten vier Urlaubswochen eines Kalender-jahres liegt, empfiehlt es sich, bei Abgabe der Freistellungser-klärung eine Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB zu treffen. Unterbleibt dies, kann die Widerrufsvereinbarung nur gerettet werden, wenn man in dieser Vereinbarung gleichzei-tig eine konkludente Tilgungsbestimmung sieht.

b. Unterscheidet eine arbeits- oder tarifvertragliche Regelung dagegen hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs zwischen gesetzlichen und arbeits- oder tarifvertraglichen Ur-

laubsansprüchen und nimmt der Arbeitgeber keine Leistungs-bestimmung vor, ist die Auslegungsregel des § 366 Abs. 2 BGB anzuwenden.55 Hieraus wird sich regelmäßig ableiten lassen, dass der dem Widerrufsrecht unterliegende Urlaubsteil zur Er-füllung des Mehrurlaubsanspruchs gewährt wird, wenn hier-für ein ausreichender Mehrurlaub zur Verfügung steht.

D. Resümee

Der in den Medien zitierte Sprecher der Bahn hat die Rechtslage wohl zutreffend dargestellt, als er darauf hin-wies, dass kein Zwang bestehe, den Urlaub abzubrechen. Ob eine höfliche Bitte des Arbeitgebers – möglicherweise verbunden mit dem Angebot von Kompensationsleistun-gen –, aus gegebenem Anlass den Urlaub abzubrechen, als schäbig zu qualifizieren ist, entzieht sich einer rechtlichen Bewertung. Zulässig ist es jedenfalls sogar hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber verständigen, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub abbricht, sofern ihm dadurch der Urlaubsan-spruch nicht verkürzt wird und auch § 7 Abs. 2 BUrlG (zu-sammenhängender Urlaub von mindestens zwei Wochen) Beachtung findet. Ansonsten dürfte in vielen Fällen – nicht nur wegen der Vereinbarung eines Widerrufsrechts – Ver-anlassung bestehen, arbeitsvertragliche Klauseln zum The-ma Urlaub im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH und des BAG zu überprüfen und anzupassen.

54 BAG, Urt. v. 07.08.2012 - 9 AZR 760/10 - BAGE 143, 1.55 BAG, Urt. v. 05.09.2002 - 9 AZR 244/01.

1 Vgl. § 1 Satz 3 SGB VI.2 Vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III.3 Vgl. § 24 Abs. 1 SGB III, § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI,

§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI.4 BSG, Urt. v. 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R Rn. 13.

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beitsrechts angesehen wird.5 Maßgeblich ist vielmehr eine umfassende Abwägung aller Merkmale, die für oder gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen, wobei die persön-liche Abhängigkeit vom Arbeitgeber allerdings das charak-teristische Hauptmerkmal ist.6

Bei Geschäftsführern, die zugleich Allein-, Mehrheits- oder Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität bei der sie anstellenden Gesellschaft sind, ist nach ständiger Recht-sprechung anerkannt, dass eine selbstständige Tätigkeit dieser „Gesellschafter-Geschäftsführer“ vorliegt, weil sie in der Lage sind, jeden Gesellschafterbeschluss und damit auch jede nicht genehme Weisung zu verhindern.7 Haben Geschäftsführer einer GmbH dagegen keinen derartigen Einfluss, weil sie keine Gesellschaftsanteile halten (sog. Fremdgeschäftsführer), ist grds. von einer abhängigen Be-schäftigung auszugehen, es sei denn, besondere Umstände des Einzelfalls lassen ausnahmsweise den Schluss zu, dass keine persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber vorliegt.8 In diesem Zusammenhang hat das BSG in der Vergangenheit vereinzelt auf die zum Arbeitsförderungsrecht und Unfallver-sicherungsrecht entwickelte sog. Kopf und Seele-Rechtspre-chung auch im Beitragsrecht zurückgegriffen, wonach für einen Fremdgeschäftsführer einer Familiengesellschaft und ausnahmsweise auch für einen Angestellten unterhalb der Geschäftsführerebene, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist, eine Ausnahme von der Beschäftigtenstellung in Betracht kommen sollte, wenn er faktisch wie ein Alleinin-haber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdün-ken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten.9

In seiner Entscheidung vom 29.07.2015 hat das BSG nun klargestellt, dass diese „Kopf und Seele“-Rechtsprechung im Beitragsrecht für die Statusfeststellung von Angestellten einer Familiengesellschaft nicht mehr heranzuziehen ist. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“ – so das BSG – sei nicht anzuerkennen. Es stellt sich die Frage, ob diese Änderung in der Rechtsprechung des BSG auch Auswirkungen auf Status-feststellungen von Geschäftsführern einer GmbH hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Gegenstand des Rechtsstreits war die Feststellung der Sozi-alversicherungspflicht des Klägers zu 1. aufgrund seiner Tä-tigkeit als Vertriebsleiter für die Klägerin zu 2., einer 1998 gegründeten GmbH mit dem Unternehmensgegenstand Vertrieb von Lockenwicklern und Vogelnetzen.

Der Kläger zu 1., ein ausgebildeter Diplomkaufmann, war ne-ben seiner im Mai 2006 begonnenen Tätigkeit für die Klägerin zu 2. Geschäftsführer und Gesellschafter von zwei weiteren Unternehmen sowie Kommanditist eines vierten Unterneh-mens. Alleinige Gesellschafterin der Klägerin zu 2. und zu-

gleich Geschäftsführerin war ab Oktober 2005 die Ehefrau des Klägers zu 1., eine gelernte Zahnarzthelferin und Büro-kauffrau. Mitte August 2011 wurde der Kläger zu 1. auch Ge-schäftsführer der Klägerin zu 2., im März 2012 zudem deren zweiter Gesellschafter mit der Hälfte des Stammkapitals. Be-reits 2001 hatte der Kläger zu 1. außerdem zugunsten der Klä-gerin zu 2. eine Bürgschaft i.H.v. über 380.000 € übernommen.

Aufgrund eines von dem Kläger zu 1. beantragten Status-feststellungsverfahrens stellte die beklagte Rentenversiche-rung zunächst gegenüber den Klägern fest, dass der Kläger zu 1. als Vertriebsleiter der Klägerin zu 2. seit Aufnahme dieser Tätigkeit dem Grunde nach sozialversicherungspflich-tig beschäftigt sei. Später stellte die Beklagte mit weiteren Bescheiden gegenüber beiden Klägern unter Änderung der früheren Bescheide fest, dass wegen dieser Vertriebsleitertä-tigkeit Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversi-cherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Das Sozialgericht hob diese Bescheide jedoch auf und stellte stattdessen fest, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers zu 1. als Vertriebsleiter der Klägerin zu 2. um eine insgesamt sozialversicherungs-freie Tätigkeit handele. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht zurück.

Auf die Revision der Beklagten hat das BSG die Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts aufgehoben, soweit sie die verneinte Versicherungspflicht des Klägers zu 1. in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung in seiner Zeit ausschließlich als Vertriebsleiter für die Klägerin zu 2. betrafen. Die Tätigkeit des Klägers zu 1. in dieser Zeit sei als abhängige Beschäf-tigung und nicht als selbstständige Tätigkeit einzuordnen. Nach dem zwischen den Klägern geschlossenen Vertrag sei der Kläger zu 1. als Vertriebsleiter, also unterhalb der Ebe-ne eines Geschäftsführers, und nur mit einem beschränkten Aufgabengebiet (Lockenwickler und Netze) von der Klägerin zu 2. angestellt worden. In dem ausdrücklich als „Anstel-lungsvertrag“ bezeichneten Vertrag hätten zudem die für einen Arbeitsvertrag typischen Elemente überwogen, wie z.B. Regelungen über ein festes Entgelt, über Lohnfortzah-lung im Krankheitsfall und den Jahresurlaub. Dass der Kläger zu 1. vollkommen freie Hand in der Führung der Geschicke der Klägerin zu 2. gehabt habe, also faktisch wie deren Ge-schäftsführer aufgetreten sei und gehandelt habe, ändere an der vertraglichen Stellung des Klägers zu 1. bis zu seiner

5 § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG.6 BSG, Urt. v. 04.06.1998 - B 12 KR 5/97 R Rn. 16.7 BSG, Urt. v. 04.06.2009 - B 12 KR 3/08 R Rn. 12; BSG, Urt. v. 11.06.1990

- 2 RU 59/89 Rn. 15; BSG, Urt. v. 04.07.2007 - B 11a AL 5/06 R Rn. 16.8 BSG, Urt. v. 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R Rn. 14.9 BSG, Urt. v. 08.12.1987 - 7 RAr 25/86 Rn. 31.

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Bestellung zum Geschäftsführer nichts. Denn jede Änderung in den Personen der Geschäftsführer sowie die Beendigung der Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers müssten zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden. Dies sei in dem streitigen Zeitraum jedoch nicht erfolgt. Die vom Kläger zu 1. tatsächlich wahrgenommenen weitreichen-den Befugnisse würden genauso wenig zur Annahme von Selbstständigkeit führen wie die Feststellungen des Landes-sozialgerichts, dass er in seiner Tätigkeit „im Alltag“ keinen tatsächlichen Weisungen oder einer Überwachung durch die Geschäftsführerin der Klägerin zu 2. unterlegen habe. Aus der nur faktischen Nichtwahrnehmung eines Weisungs-, Auf-sichts- oder Überwachungsrechts seitens der Klägerin zu 2. könne auf einen rechtswirksamen Verzicht auf diese nicht geschlossen werden. Entscheidend sei vielmehr, dass der Kläger zu 1. nicht als Gesellschafter an der Klägerin zu 2. beteiligt gewesen sei. Mangels einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht des Klägers zu 1., ihm unter Um-ständen unangenehme Weisungen vonseiten der Geschäfts-führung der Klägerin zu 2. zu verhindern, rechtfertige auch weder eine vermeintliche wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin zu 2. vom Kläger zu 1. ein anderes Ergebnis noch die Übernahme einer Bürgschaft des Klägers zu 1. i.H.v. über 380.000 € zugunsten der Klägerin zu 2. Zwar könnten nach der Rechtsprechung des BSG auch wirtschaftliche Einfluss-möglichkeiten beachtenswert sein, soweit sie dem Ge-schäftsführer einer GmbH selbst gegenüber der Gesellschaft zur Verfügung stünden. Dies sei hier aber nicht der Fall gewe-sen, weil die Ehefrau des Klägers zu 1. als Alleingesellschafte-rin und Geschäftsführerin es allein in der Hand gehabt hätte, im Falle eines Zerwürfnisses auch unter Inkaufnahme wirt-schaftlicher Nachteile den Unternehmenszweck zu ändern, eine Neuausrichtung des Unternehmens vorzunehmen oder dieses gar zu liquidieren. Sie hätte den Kläger zu 1. auch von seinen Aufgaben entbinden oder ihm aus wichtigen Grund kündigen können, ohne dass der Kläger zu 1. dies hätte verhindern können. Die für das Leistungsrecht der Arbeits-förderung und das Recht der Unfallversicherung entwickelte „Kopf und Seele“-Rechtsprechung sei für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV im Beitragsrecht nicht heranzuziehen. Soweit der Senat in der Vergangenheit vereinzelt darauf zurückgegriffen habe, werde daran nicht mehr festgehalten. Die Abhängigkeit der Statuszuordnung vom rein faktischen, nicht rechtlich gebun-denen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Betei-ligten sei mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozial-versicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht in Einklang zu bringen. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“, die sich ausschließlich daraus ableite, dass dem Betroffenen in harmonischen Zeiten freie Hand gelassen werden, wäh-rend im Falle eines Zerwürfnisses dessen Weisungsunter-worfenheit zum Tragen käme, sei nicht anzuerkennen. Das

maßgebliche Abstellen auf die den Beteiligten zukommende Rechtsmacht vermeide zudem Abgrenzungsschwierigkeiten zu leitenden Angestellten und verringere Manipulationsmög-lichkeiten hinsichtlich der Generierung und Negierung von Sozialversicherungspflicht. Außerdem werde auf diese Weise auch der Freiheit der Beteiligten Rechnung getragen, sowohl die Verfassung eines Unternehmens als auch Tätigkeits- und Beschäftigungsverhältnisse autonom auszugestalten.

C. Kontext der Entscheidung

Bereits 2012 hatte der für das Beitragsrecht zuständige 12. Senat des BSG seine Skepsis gegenüber der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung angedeutet.10 Mit der vorliegenden Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung nun kon-sequent weiterentwickelt und den Rückgriff auf die „Kopf und Seele“-Rechtsprechung für das Beitragsrecht abgelehnt. Die dogmatische Begründung hierfür ist in sich schlüssig und über-zeugend. Ob eine Beschäftigung nach Abwägung aller Merk-male vorliegt, ergibt sich in ständiger Rechtsprechung des BSG aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist.11 Von dem Vertragsverhältnis abweichende tatsächliche Verhältnisse gehen der formellen Vereinbarung nur vor, soweit eine formlose Abbedingung rechtlich möglich ist.12 Umgekehrt gilt in ständiger Rechtsprechung deshalb aber auch, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist.13 In diesem Sinne kommt der einem Beteiligten zustehenden Rechtsmacht bei der Prüfung des Vorliegens von Weisungsgebundenheit eine maßgebliche Bedeutung zu. Dies hat der Senat in der vorliegenden Entscheidung noch einmal herausgearbeitet und hervorgehoben. In diesem Kontext ist es nur folgerichtig, im Beitragsrecht der „Schönwetter-Selbstständigkeit“ und damit auch der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung eine Absage zu erteilen, die die selbstständige Tätigkeit allein damit begrün-det, der Geschäftsführer oder Angestellte könne schließlich auch ohne die notwendige Rechtsmacht die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führen, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten. Abgesehen davon, dass dies die Vorherseh-barkeit statusrechtlicher Feststellungen beeinträchtigt, weil das Verhalten der Gesellschafter – worauf das BSG zu Recht hinweist – sich jederzeit ändern könnte und damit Manipula-tionsmöglichkeiten zur Generierung oder Negierung von So-zialversicherungspflicht eröffnet würden, ist die Begründung auch rechtlich zweifelhaft, weil sie die formlose Abdingbarkeit

10 BSG, Urt. v. 29.08.2012 - B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 Rn. 32.11 BSG, Urt. v. 29.08.2012 - B 12 KR 14/10 R Rn. 16.12 BSG, Urt. v. 29.08.2012 - B 12 KR 14/10 R Rn. 16.13 BSG, Urt. v. 29.08.2012 - B 12 KR 14/10 R Rn. 16.

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des Gesellschaftsvertrags unterstellt.14 Änderungen im Gesell-schaftsvertrag bedürfen jedoch zu ihrer Wirksamkeit der no-tariellen Form.15 Zu Recht wurde daher schon im Schrifttum darauf hingewiesen, dass die Rechtsmacht der Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer oder Angestellten zwar in „ruhigen Zeiten“ durch familiäre Bindungen überlagert sein mag, sodass von ihr faktisch kein Gebrauch gemacht wird, sie dadurch aber nicht entfalle.16

Soweit kritisiert wird, die Nichtberücksichtigung der alleini-gen Fach- und Branchenkenntnis als Kriterium für eine Selbst-ständigkeit gehe an den tatsächlichen Verhältnissen in der Praxis, insbesondere im Bereich der Venture-Capital-Märk-te,17 vorbei und lasse die gelebte Realität außer Betracht,18 ist diese Kritik im Ergebnis ohne Substanz. Zum einen steht es jedem Gesellschaftsgründer, der sich entscheidet, seine Gesellschaftsanteile ganz oder teilweise an Risikoinvestoren als Kapitalgeber zu veräußern, frei, für sich eine Sperrminori-tät zurückzubehalten, mit der Folge, dass er aufgrund dieser Rechtsmacht auch nach der geänderten Rechtsprechung des BSG als Selbstständiger eingestuft würde. Zum anderen ist es gerade bei Investoren/Kapitalgebern der Venture-Capi-tal-Märkte keineswegs ausgeschlossen, dass sie von ihren Kontrollmöglichkeiten Gebrauch machen, gerade weil ihre Investitionen risikobehaftet sind. Damit ist der Kritik, die auf der Behauptung fußt, die Risikokapitalgeber würden sich aufgrund fehlender Branchenkenntnis nicht in das operative Geschäft einmischen, die Grundlage entzogen.

Eine Aufgabe des bisherigen Prüfungsmaßstabs zur Beur-teilung des Bestehens oder Nichtbestehens von Sozialversi-cherungspflicht lässt sich der Entscheidung allerdings nicht entnehmen. Das BSG hat die Einordnung der Tätigkeit des Klägers zu 1. als abhängige Beschäftigung auch in dieser Entscheidung nicht allein mit der fehlenden Weisungsfrei-heit begründet, sondern eine Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände vorgenommen. Es hat u.a. auch die Eingliederung in einen fremden Betrieb, die im Anstellungs-vertrag vereinbarten Einzelheiten oder die wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten des Klägers zu 1. auf die Klägerin zu 2. aufgrund der Übernahme der Bürgschaft geprüft. Der As-pekt der Weisungsgebundenheit des Klägers zu 1. stellte bei dieser Gesamtabwägung nur ein – wenn auch wesent-liches – Kriterium dar.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BSG betraf unmittelbar einen Ange-stellten einer GmbH, dessen Tätigkeit als Vertriebsleiter un-terhalb der Ebene eines Geschäftsführers anzusiedeln war und der im fraglichen Zeitraum gerade nicht zum (Fremd-)Geschäftsführer der GmbH bestellt worden war. Die Bestel-lung zum Geschäftsführer erfolgte zwar später und wurde

auch in das Handelsregister eingetragen, jedoch war die Tätigkeit als Geschäftsführer nicht Gegenstand der Ent-scheidung des BSG, weil die beklagte Rentenversicherung insoweit bereits ihre Berufung zurückgenommen hatte.

Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Entscheidung auch Auswirkungen auf die statusrechtliche Beurteilung von Ge-schäftsführern haben wird.

Für Fremdgeschäftsführer einer GmbH wurde schon nach bis-heriger Rechtsprechung des BSG regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen.19 Allerdings dürfte für diesen Personenkreis durch die Entscheidung des BSG die Mög-lichkeit, ausnahmsweise doch als Selbstständige eingestuft zu werden, reduziert worden sein. Wurde bislang aufgrund besonderer Umstände eine abhängige Beschäftigung bei solchen Fremdgeschäftsführern einer GmbH verneint, wenn sie mit den Gesellschaftern familiär verbunden waren und die Geschäfte faktisch wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führten, dürfte der Weg zu dieser Argumentati-on als Begründung für die ausnahmsweise Selbstständig-keit nun versperrt sein. Denn der Ausschluss der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung gilt nach den Ausführungen des BSG für die Statusbeurteilung im sozialversicherungsrechtlichen Deckungsverhältnis insgesamt, ist also nicht auf die Status-feststellung von Angestellten einer Familiengesellschaft un-terhalb der Geschäftsführerebene beschränkt.20

Für Geschäftsführer, die zwar Anteile an der sie anstellen-den Gesellschaft halten, jedoch über keine Sperrminorität verfügen, dürfte die Entscheidung ebenfalls Auswirkungen haben. Auch für diese Personengruppe ist zukünftig der Rückgriff auf die „Kopf und Seele“-Rechtsprechung bei ih-rer statusrechtlichen Einstufung ausgeschlossen. Ihre Ein-stufung als Selbstständige kann nur noch erfolgen, wenn andere Kriterien, die für eine Selbstständigkeit sprechen, im konkreten Einzelfall in der stets durchzuführenden Ge-samtabwägung ausnahmsweise überwiegen.

Lediglich für Geschäftsführer, die Alleingesellschafter, Mehrheitsgesellschafter oder Gesellschafter mit Sperrmi-norität der sie anstellenden Gesellschaft sind, hat die Ent-scheidung keine Bedeutung. Ihre Stellung als Selbstständi-ge leitet sich aus ihrer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht ab. Die Aufgabe der „Kopf und Seele“-Recht-sprechung ist für diesen Personenkreis insofern irrelevant.

14 So auch Berchthold in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kom-mentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, § 7 SGB IV Rn. 46a.

15 § 2 Abs. 1 Satz 1 GmbHG.16 Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB IV, § 7 Abs. 1 Rn. 1224.17 Risikokapitalmärkte.18 Kaufmann/Kleemann, BB 2014, 821, 825 ff.19 BSG, Urt. v. 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R Rn. 14.20 BSG, Urt. v. 29.07.2015 - B 12 KR 23/13 R Rn. 29 und 32.

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Verwaltungsrecht

A. Einleitung

Europa liegt im Zielspektrum des islamistischen Terroris-mus. Die anhaltend hohe Gefährdungslage dokumentieren u.a. die Anschläge auf den Flughafen und die U-Bahn in Brüssel vom März 2016 sowie auf die Redaktion des Sa-tiremagazins „Charlie Hebdo“ und weitere Ziele in Paris im Januar und November 2015, in deren Folge Hunderte von Menschen getötet oder verletzt wurden. Aber auch in deutschen Städten standen Anschläge auf Bahnhöfe und Sportstätten unmittelbar bevor. Dabei haben jeweils Atten-täter eine maßgebliche Rolle gespielt, die in Europa lebten und hier radikalisiert wurden. Noch ist nicht im Einzelnen bekannt, in welchem Umfang die Täter im Auftrag islamis-tischer Vereinigungen handelten oder durch sie radikalisiert worden waren.

So wichtig die Ahndung konkreter Straftaten ist, ist doch deren Verhinderung primäres Ziel staatlichen Handelns. Hierzu gehört die Bekämpfung organisatorischer Struktu-ren, die derartige Taten ermöglichen oder jedenfalls erleich-tern. Dem dient das Verbot extremistischer Vereinigungen sowie von Unterstützervereinen.1 So hat das Bundesminis-terium des Innern (BMI) im September 2014 die Betätigung des sog. Islamischen Staates in Deutschland verboten. Mit der Verfügung ist das Verbot verbunden, Kennzeichen des „Islamischen Staates“ öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellung zu verwenden. Dieses Verbot wurde ohne ge-richtliche Überprüfung bestandskräftig. In zwei anderen Fällen wandten sich aber der Salafistenverein „DawaFFM“ und der Spendensammelverein „Farben für Waisenkinder“ gegen die vom BMI ausgesprochenen Vereinsverbote. Der letztgenannte Verein sammelte Spenden zur Unterstützung der Angehörigen gefallener Hisbollah-Kämpfer. Das BVer-wG hat durch Urteile vom 14.05.2013 und 16.11.2015 die beiden Vereinsverbote als rechtmäßig bestätigt und in sei-nen Entscheidungen die hierfür maßgeblichen Tatbestands-voraussetzungen präzisiert.

Im Folgenden werden die Grundzüge des Verfahrens zum Ausspruch von Vereinsverboten sowie die Voraussetzun-gen der einzelnen Verbotsgründe dargestellt. Anschließend wird auf die neuere Rechtsprechung des BVerwG zu den Verbotskriterien bei islamistisch geprägten Vereinigungen eingegangen.

B. Das Verbotsverfahren

Die Regelungen zur Zuständigkeit für den Ausspruch von Vereinsverboten und zu dem dabei zu beachtenden Verfah-ren finden sich im Vereinsgesetz (VereinsG).2 Zuständige Verbotsbehörde ist die oberste Landesbehörde, wenn sich die Tätigkeit des Vereins auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt, und das BMI, wenn sich die Organisation oder Tätigkeit des Vereins über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus erstreckt (§ 3 Abs. 2 VereinsG). Über Klagen gegen das Vereinsverbot der obersten Landesbehörde entscheidet das örtlich zuständige Oberverwaltungsgericht (§ 48 Abs. 2 VwGO), über Klagen gegen Vereinsverbote des BMI das BVerwG, und zwar erst- und letztinstanzlich (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Das Verbot ist dem Adressaten zuzustellen, der verfügende Teil auch im Bundesanzeiger und danach im Mitteilungsblatt des Landes bekanntzumachen, in dem der Verein seinen Sitz hat (§ 3 Abs. 4 VereinsG).

Liegen Anhaltspunkte für einen Verbotsgrund vor, hat die zuständige Behörde förmliche Ermittlungen einzuleiten.3 In deren Rahmen kann sie bei Gefahr im Verzug eine Be-schlagnahme oder Durchsuchung anordnen (§ 4 Abs. 5 VereinsG). Andernfalls trifft die Entscheidung das Verwal-tungsgericht, in dessen Bezirk die Handlung vorzunehmen ist (§ 4 Abs. 2 VereinsG). Das Verwaltungsgericht kann auf Antrag der Verbotsbehörde die richterliche Vernehmung von Zeugen durchführen (§ 4 Abs. 3 VereinsG). Das Verbot wird mit der Zustellung der Verfügung noch nicht wirksam, die Behörde kann jedoch nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Verfügung im öffentlichen Inter-esse anordnen. Dies geschieht auch in aller Regel. Sind die Erfolgsaussichten einer gegen die Verfügung gerichteten Klage offen, ist der Sofortvollzug gerechtfertigt, wenn die mit ihm verbundene Rechtsbeeinträchtigung des Betrof-fenen aus gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls ge-rechtfertigt ist.4

Zum Verbot islamistischer Vereinigungen und von Unterstützervereinen

RiBVerwG Prof. Dr. Harald Dörig

1 Eine Übersicht über die Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremis-tische Vereinigungen von 1990 bis 2014 findet sich im Verfassungs-schutzbericht 2014, S. 239 ff.

2 Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts – Vereinsgesetz vom 05.08.1964, BGBl. I 1964, 593, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.04.2015, BGBl. I, 434.

3 Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 13. Aufl. 2016, S. 1139 Rn. 6570.4 BVerwG, Beschl. v. 08.07.2014 - 6 VR 1/14 Rn. 1.

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Die Verbotsverfügung enthält in ihrem verfügenden Teil re-gelmäßig vier Teilentscheidungen.5 Zunächst enthält sie die konstitutive Feststellung der Verwirklichung eines Ver-botsgrundes, als Zweites die Anordnung der Auflösung des Vereins. Feststellung und Auflösungsanordnung stellen nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG das Vereinsverbot dar. Hingegen enthält die Verbotsverfügung keinen Verbotsausspruch („wird verboten“), weil die Ver-botsanordnung bereits in Art. 9 Abs. 2 GG enthalten ist.6 Soweit die Verbotsverfügung das Verbotensein ausspricht („ist verboten“), handelt es sich daher um eine lediglich de-klaratorische Feststellung des schon von Verfassungs wegen angeordneten Verbots. In der Verfügung wird i.d.R. drittens die Beschlagnahme und viertens die Einziehung des Vereins-vermögens angeordnet (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG).

Ist ein Verbot unanfechtbar geworden, so ist sein verfügender Teil im Bundesanzeiger sowie im Mitteilungsblatt des Sitzlan-des des Vereins zu veröffentlichen (§ 7 Abs. 1 VereinsG). Die Rechtsfolgen des Verbots: Der Verein und seine Teilorgani-sationen sind aufgelöst (§ 3 Abs. 1 und 3 VereinsG). Die Bil-dung von Nachfolge- und Ersatzorganisationen ist verboten (§ 8 VereinsG).7 Bereits vom Zeitpunkt der Vollziehbarkeit des Verbots an dürfen dessen Kennzeichen nicht mehr öffentlich verwendet werden (§ 9 VereinsG). Ist die Einziehung des Ver-einsvermögens angeordnet worden, geht das Vermögen mit Bestandskraft der Verbotsverfügung auf die öffentliche Hand über (§ 11 Abs. 1 und 2 VereinsG). Wer sich entgegen der Verbotsverfügung weiter für den Verein betätigt oder dessen Kennzeichen verwendet, begeht eine Straftat (§ 20 VereinsG).

C. Die Voraussetzungen eines Vereinsverbots

Nach Art. 9 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Vereine zu bilden. Angesichts des verfassungsrechtlichen Schutzes der Vereinsfreiheit hat sich der Grundgesetzgeber entschieden, die zulässigen Verbotsgründe selbst in Art. 9 Abs. 2 GG zu normieren. Dieser bestimmt:

„Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die ver-fassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“

Die drei in Art. 9 Abs. 2 GG genannten Verbotsgründe sind einfachgesetzlich in § 3 Abs. 1 VereinsG normiert. Da die grundrechtliche Garantie der Vereinsfreiheit nur für Deut-sche gilt, regelt das VereinsG weitergehende Verbotsgrün-de für Vereine, deren Mitglieder Ausländer sind (§ 14) oder die ihren Sitz im Ausland haben (§ 15).

Da Vereinigungen, die die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllen, von Verfassungs wegen verboten sind, bestehen für die Verbotsbehörde auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen und kein Raum für Erwägungen zur Verhält-

nismäßigkeit.8 Die Verbotsverfügung dient vielmehr jeden-falls i.d.R. allein dazu, aus Gründen der Rechtssicherheit klarzustellen, dass eine Vereinigung einen oder mehrere Verbotsgründe erfüllt und dadurch ein Vorgehen gegen den Verein zu ermöglichen. Den Anforderungen des verfas-sungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist aber bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob die Voraussetzun-gen eines Verbotsgrunds vorliegen.9

Die drei Verbotsgründe haben folgenden Inhalt:

I. Der Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit

Ein Verein ist verboten, wenn dessen Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen (§ 3 Abs. 1 Alt. 1 VereinsG). Da der Verein selbst keine Straftaten begehen kann, müssen diese von Mitgliedern oder Funktionsträgern begangen wer-den. Erforderlich ist aber ein Zusammenhang zur Tätigkeit im Verein oder zu seiner Zielsetzung (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 VereinsG). Des Weiteren müssen die strafbaren Handlungen auf einer organisierten Willensbildung beruhen (§ 3 Abs. 5 Nr. 2 Ver-einsG) und es muss anzunehmen sein, dass die Straftaten vom Verein jedenfalls geduldet werden (§ 3 Abs. 5 Nr. 3 Ver-einsG).10 Die Zurechnung von Straftaten, die Vereinsmitglie-der in keinerlei Zusammenhang mit den Vereinszielen oder der Vereinstätigkeit begehen, scheidet daher aus.

Der Zweck des Verbotstatbestandes der Strafgesetzwidrig-keit liegt nicht darin, die Verletzung der Strafgesetze durch einzelne Personen zusätzlich vereinsrechtlich zu sanktionie-ren. Durch ihn soll vielmehr der besonderen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung begegnet werden, die sich daraus ergibt, dass Straftaten in einem vereinsmäßig organisierten Zusammenhang begangen werden. Diese Ge-fährdung geht von der Vereinigung als solcher aus.11 Der or-ganisatorische Zusammenhalt im Verein erleichtert es, bei den Mitgliedern eine Eigendynamik in Gang zu setzen, durch die die Hemmschwelle zur Begehung von Straftaten gesenkt und der Anreiz zu neuen Straftaten geweckt werden. Zur Erfüllung des Verbotsgrundes genügt es, dass Zweck und/oder Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Nicht erforder-

5 BT-Drs. 4/430, S. 12; BT-Drs. 4/2145 (neu), S. 2.6 BVerwG, Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 Rn. 24.7 Zur Abgrenzung von Identitätswahrender Fortführung und Bildung

einer Ersatzorganisation vgl. Roth in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 8 VereinsG Rn. 14 ff.

8 BVerwG, Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 - BVerwGE 134, 275 Rn. 87; zustimmend Roth in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 3 VereinsG Rn. 147.

9 BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 Rn. 70.10 Hierzu Albrecht in: Albrecht/Roggenkamp, VereinsG, 2014, § 3 Rn. 106 ff.11 BVerwG, Urt. v. 07.01.2016 - 1 A 3/15 Rn. 38; BVerwG, Urt. v.

19.12.2012 - 6 A 6/11 Rn. 51 – mit Anmerkung Neumann, jurisPR-BVerwG 15/2013, Anm. 6.

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lich ist, dass die Strafgesetzwidrigkeit den Hauptzweck oder die Haupttätigkeit der Vereinigung ausmacht.12 Die Strafge-setzwidrigkeit ist von der Verbotsbehörde und dem Verwal-tungsgericht in eigener Kompetenz zu prüfen. Eine Bindung an die Entscheidung der Strafgerichte besteht nicht.13

Wegen Strafgesetzwidrigkeit wurden u.a. folgende Vereine verboten: „Arbeiterpartei Kurdistans“ – PKK (1993), „Revolu-tionäre Volksbefreiungspartei-Front“ – DHKP-C (1998), „Tür-kische Volksbefreiungspartei-Front“ – THKP-C (1998), Vereini-gungen, die den nationalsozialistischen Völkermord leugnen („Collegium Humanum“ – 2008) oder Strafgefangene im Kampf gegen das antideutsche System bestärken („Hilfs-organisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ – 2011) sowie Rockervereinigungen wie „Hell’s Angels“ (1983), „MC Gremium“ Sachsen (2013) und „Satu-darah Maluku MC“ (2015 – noch gerichtlich anhängig).14

II. Der Verbotsgrund des Handelns gegen die verfas-sungsmäßige Ordnung

Nach § 3 Abs. 1 Alt. 2 VereinsG sind Vereinigungen verboten, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Ge-meint ist hier die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. Dazu gehören vor allem die Ach-tung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrech-ten sowie das demokratische Prinzip mit der Verantwortlich-keit der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Umfasst ist davon aber auch das Rechtsstaatsprinzip.15

Das Verbot einer Vereinigung ist nicht schon dann gerecht-fertigt, wenn sie die verfassungsmäßige Ordnung lediglich ablehnt und ihr andere Grundsätze entgegenstellt. Die Ver-einigung muss ihre verfassungsfeindlichen Ziele vielmehr kämpferisch-aggressiv verwirklichen wollen. Dies ist nicht erst dann zu bejahen, wenn die Vereinigung ihre Ziele durch Gewaltanwendung oder sonstige Rechtsverletzungen zu ver-wirklichen sucht; es genügt, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will. Dabei lassen sich die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Ziele einer Vereinigung vor allem ihrem Auftreten in der Öffent-lichkeit, ihren Publikationen sowie den Äußerungen ihrer Funktionsträger entnehmen. Da Vereinigungen etwaige ver-fassungsfeindliche Bestrebungen erfahrungsgemäß zu ver-heimlichen trachten, wird sich der Verbotstatbestand i.d.R. nur aus dem Gesamtbild ergeben, das sich aus einzelnen Äußerungen und Verhaltensweisen zusammenfügt.16

Eine Vereinigung ist daher gegen die verfassungsmäßige Ordnung u.a. dann gerichtet, wenn sie in Programm, Vor-stellungswelt und Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist.17 Gleiches gilt für religiös-extremistische Vereinigungen, die nicht nur auf der

Scharia beruhende, im Widerspruch zur Verfassungsord-nung des Grundgesetzes stehende Lehren als Glaubens-inhalt vertreten und für sie werben, sondern auch auf die Umsetzung dieser Lehren in Deutschland hinwirken.18

Wegen Handelns gegen die verfassungsmäßige Ordnung wurden u.a. folgende Vereine verboten: „Nationalistische Front“ (1992), „Wiking-Jugend“ (1994), „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (1995), „Blood & Honour“ (2000), „Kalifatsstaat“ (2001), „Collegium Humanum“ (2008), „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (2011), „Millatu Ibrahim“ (2012), „Da-waFFM“ (2013), „Islamischer Staat“ – IS (2014).19

III. Der Verbotsgrund des Handelns gegen den Ge-danken der Völkerverständigung

Ein Verein ist weiter dann verboten, wenn er sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet (§ 3 Abs. 1 Alt. 3 VereinsG). Der in Art. 9 Abs. 2 GG gewählte Begriff der „Völ-kerverständigung“ wird an keiner anderen Stelle im Grund-gesetz verwendet. Allerdings regelt Art. 26 Abs. 1 GG, dass Handlungen verfassungswidrig sind, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusam-menleben der Völker zu stören. Der Verbotstatbestand knüpft an diese Grundgesetznorm sowie an die in Art. 1 und 2 der UN-Charta niedergelegten Ziele und Grundsätze der interna-tionalen Gemeinschaft an, die jedenfalls über Art. 59 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes Bundesrecht sind.20

Das Verbot, sich gegen den Gedanken der Völkerverständi-gung zu richten, beschränkt sich allerdings nicht auf eine vereinsrechtliche Konkretisierung des Verbots nach Art. 26 Abs. 1 GG. Der „Gedanke der Völkerverständigung“ reicht weiter als das „friedliche Zusammenleben der Völker“, wie schon durch die unterschiedlichen Formulierungen deutlich wird.21 Er nimmt Bezug auf die Idee der friedlichen Verstän-

12 BVerwG, Urt. v. 18.10.1988 - 1 A 89/83 - BVerwGE 80, 299, 307.13 BVerwG, Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 - BVerwGE 134, 275 Rn. 17 f.14 Übersichten hierzu finden sich u.a. im Verfassungsschutzbericht

2014, S. 239 ff. und bei Baudewin, NVwZ 2013, 1049, 1052 ff.15 BVerwG, Urt. v. 01.09.2010 - 6 A 4/09 Rn. 13; BVerwG, Urt. v. 19.12.2012

- 6 A 6/11 Rn. 13; BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 Rn. 34.16 BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 Rn. 35 – mit Anmerkung Neu-

mann, jurisPR-BVerwG 20/2014, Anm. 3.17 BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 Rn. 22 ff.; BVerwG, Urt. v.

19.12.2012 - 6 A 6/11 Rn. 13; BVerwG, Beschl. v. 21.05.2014 - 6 B 24/14 Rn. 20.

18 BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 Rn. 37 ff.19 Verfassungsschutzbericht 2014, S. 239 ff.20 So auch Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 13. Aufl. 2016, S. 1135

Rn. 6561; die Anknüpfung an Art. 26 GG betont auch Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Februar 1999, Art. 9 Rn. 131.

21 Vgl. Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Februar 1999, Art. 9 Rn. 131; Kemper in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 9 Abs. 2 Rn. 78.

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digung der Völker bei der Lösung ihrer Interessengegensät-ze. Deshalb richtet sich ein Verein (auch) dann gegen den Gedanken der Völkerverständigung, wenn sein Zweck oder seine Tätigkeit der friedlichen Überwindung der Interessen-gegensätze von Völkern zuwiderläuft.22 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineingetragen wird. In einem solchen Fall ist es für die Er-füllung des objektiven Verbotstatbestandes nicht erforder-lich, dass der Verein selbst Gewalt ausübt.

Der objektive Tatbestand kann auch dann erfüllt sein, wenn ein Verein eine Gruppierung unterstützt, die ihrerseits durch Ausübung von Gewalt das friedliche Miteinander der Völ-ker beeinträchtigt. Von dem Verbotsgrund sind nicht nur die friedlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu fremden Völkern, sondern auch der Frieden zwischen frem-den Völkern erfasst, z.B. zwischen Israel und seinen arabi-schen Nachbarstaaten.23 Der Verbotstatbestand ist nur er-füllt, wenn der Zweck oder die Tätigkeit des Vereins geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen.24 Eine aggressiv-kämpferische Vorgehensweise ist nicht erforderlich. Die Völ-kerverständigungswidrigkeit muss aber, um ein Verbot recht-fertigen zu können, den Charakter des Vereins prägen.25

Wegen Handelns gegen den Gedanken der Völkerver-ständigung wurden u.a. folgende Vereine verboten: „al-Aqsa e.V.“ (2002), „Hizb ut-Tahrir“ (2003), „Mesopotamia Broadcast A/S“ (2008), „Roj TV A/S“ (2008), „al-Manar TV“ (2008), „Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V.“ (2010), „Farben für Waisenkinder e.V.“ (2014).26

D. Das BVerwG-Urteil von 2014 zum Verbot eines Salafistenvereins

In seinem Urteil vom 14.05.2014 hat das BVerwG das Ver-bot einer dem Salafismus zugeordneten Vereinigung als rechtmäßig bestätigt.27 Konkret ging es um eine Vereini-gung mit dem Namen „DawaFFM“, die in Frankfurt am Main eine Moschee, eine Internetplattform sowie einen Internetshop betrieb und insbesondere junge Menschen für eine radikale Form des Islam zu gewinnen suchte.

Das BMI stützte das Verbot der Vereinigung vom Februar 2013 darauf, dass sie zum Ziel habe, Muslime zu radikalisie-ren und auf die Konversion junger Menschen zum Salafismus als einer extremistischen Auslegung des Islam hinzuwirken. Die Vereinigung richte sich in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung, weil sie die Scha-ria über die in Deutschland geltende Rechtsordnung stelle. Ebenfalls aggressiv und kämpferisch wende sich die Vereini-gung gegen den Gedanken der Völkerverständigung.

Das BVerwG hat die gegen das Verbot gerichtete Klage zu-rückgewiesen. Das Urteil zeigt die Voraussetzungen auf, un-

ter denen religiös verbrämte Propaganda für den „Heiligen Krieg“ und für die Befolgung der Scharia ein Vereinsverbot rechtfertigen kann. Es arbeitet insbesondere (erstmals in dieser Ausführlichkeit) die Grenzen heraus, bei der zuläs-sige Darstellung von und Werbung für religiöse Auffassun-gen umschlägt in eine unzulässige aggressiv-kämpferische Gerichtetheit gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung.28

Das Gericht bejaht zunächst den Verbotsgrund des Handelns gegen die verfassungsmäßige Ordnung (§ 3 Abs. 1 Alt. 2 Ver-einsG). Dabei stellt es klar, dass die staatlichen Stellen für das Verbot eines religiösen Vereins als verfassungswidrig Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu beachten haben und deshalb nicht die von dem Verein vertretenen und beworbenen Glaubens-inhalte als richtig oder falsch bewerten dürfen. Allerdings sei der Staat nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten ei-ner religiösen Gruppierung oder ihrer Mitglieder und seine Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft nach staatlichem Recht zu beurteilen, selbst wenn dieses Verhalten letztlich auf Glaubensinhalten beruhe. Der Verbotsgrund der Verfas-sungswidrigkeit setze voraus, dass sich ein religiöser Verein nicht darauf beschränke, sich mit religiös begründeten, in Wi-derspruch zu grundlegenden Verfassungsprinzipien stehen-den Lehren als Glaubensinhalt zu befassen und in diesem Sinne für sie zu werben, sondern die konkrete Umsetzung dieser Lehren oder aus ihnen hergeleiteter Verhaltenspflich-ten in Deutschland propagiere oder fördere. Dies hat das BVerwG für den verbotenen Salafistenverein bejaht.

Den von der Vereinigung „DawaFFM“ vertretenen und ver-breiteten Lehren liegt nach den Feststellungen des BVerwG eine Werteordnung zugrunde, die im Widerspruch zu derjeni-gen des Grundgesetzes steht. Von besonderem Gewicht sei dabei die Nichtanerkennung des Rechts auf Leben und kör-perliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Propagierung von in der Scharia vorgesehenen grausa-men Strafen. Die Bestrafung der Handamputation bei qualifi-ziertem Diebstahl, des Kreuzigens und Tötens bei raubähnli-chen Delikten, des Auspeitschens bei religiösen Verfehlungen und bei unzüchtigem Verhalten sowie des Steinigens bei

22 BVerwG, Urt. v. 03.12.2004 - 6 A 10/02 Rn. 18.23 So auch Kemper in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 9

Abs. 2 Rn. 78; Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Februar 1999, Art. 9 Rn. 131.

24 BVerwG, Urt. v. 03.12.2004 - 6 A 10/02 Rn. 18; BVerwG, Urt. v. 18.04.2012 - 6 A 2/10 Rn. 13.

25 BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 16.11.2015 - 1 A 4/15 Rn. 20.

26 Verfassungsschutzbericht 2014, S. 239 ff.27 BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 – mit Anmerkung Neumann,

jurisPR-BVerwG 20/2014, Anm. 3.28 So auch die Entscheidungsbesprechung von Neumann, jurisPR-

BVerwG 20/2014, Anm. 3 Kapitel D.

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Ehebruch würden nach dieser Lehre als gerecht, praktikabel, logisch und im eigenen Interesse der Delinquenten liegend geschildert. Hinzu komme die Befürwortung von gleichfalls aus Vorgaben der Scharia abgeleiteten Verhaltensweisen, die dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG zuwiderlaufen. Das Verständnis der Scharia als eines von Gott gesetzten und deshalb allen staatlichen Gesetzen übergeordneten Rechts stehe in Widerspruch zu den grundgesetzlichen Prinzipien des Rechtsstaats bzw. der Demokratie.

Nach den Feststellungen des BVerwG hat der verbotene Ver-ein u.a. die gewalttätigen Ausschreitungen, die im Mai 2012 in Solingen und Bonn im Zusammenhang mit Demonstra-tionen gegen Veranstaltungen stattgefunden haben, in de-nen die sog. Mohammed-Karikaturen gezeigt wurden und in deren Verlauf mehrere Polizeibeamte zum Teil schwer ver-letzt worden sind, öffentlich im Sinne gerechtfertigter Selbst-justiz gebilligt. Der Salafistenverein habe darüber hinaus die Drohung mit weiterer Gewalt gegen staatliche deutsche Einrichtungen und gegen deutsche Staatsbürger bzw. mit der Aufstachelung zu solcher Gewalt verbreitet. Aus dieser und zahlreichen weiteren Tatsachenfeststellungen hat das Gericht den Schluss gezogen, dass die Vereinigung nicht nur grundgesetzwidrige Lehren verbreitet, sondern auch deren Umsetzung in aggressiv-kämpferischer Weise propagiert und fördert.

Das BVerwG hat zusätzlich den Verbotsgrund des Zu-widerhandelns gegen den Gedanken der Völkerverstän-digung bejaht (§ 3 Abs. 1 Alt. 3 VereinsG). Es hat dies in tatsächlicher Hinsicht aus Reden, Bittgebeten und Liedern abgeleitet, in denen u.a. hasserfüllte Vernichtungswünsche gegen Amerika, Juden, Christen und Schiiten ausgestoßen werden, teilweise verbunden mit dem ausdrücklichen Ap-pell, sich dem gewaltsamen Dschihad anzuschließen und auch vor dem (Märtyrer-)Tod nicht zurückzuschrecken. Die Beiträge seien nach ihrem Inhalt allesamt geeignet, junge Muslime und Konvertiten bis zur Gewaltbereitschaft zu radikalisieren und so den Boden für die Gewinnung von Kämpfern für den bewaffneten Dschihad zu bereiten.

E. Das BVerwG-Urteil von 2015 zum Verbot des Unterstützervereins

Durch Urteil vom 16.11.2015 hat das BVerwG das Verbot des in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Spen-densammelvereins „Farben für Waisenkinder e.V.“ als rechtmäßig bestätigt, dessen Gelder Waisenkindern und sonstigen Hinterbliebenen von Hisbollah-Kämpfern im Li-banon zugutekamen.29 Die Bedeutung dieser Entscheidung liegt darin, dass das Gericht die Voraussetzungen für das Verbot von Unterstützervereinen präzisiert hat.

Der im April 2014 vom BMI verbotene Verein hatte über einen langen Zeitraum in Deutschland Spenden eingeworben und damit die im Libanon ansässige Shahid Stiftung unterstützt. Diese Stiftung ist als karitative Einrichtung integraler Teil der israel-feindlichen Hisbollah. Die Aufgabe der Shahid Stiftung besteht vor allem in der Unterstützung der Angehörigen verstorbener Hisbollah-Kämpfer. Das BMI hat seine Verbots-verfügung darauf gestützt, dass die Hisbollah Gewalt in das Verhältnis zwischen dem libanesischen und dem israelischen Volk hineintrage und damit das friedliche Zusammenleben dieser Völker beeinträchtige. Indem der deutsche Spenden-sammelverein das Wirken der Hisbollah unterstütze, erfülle er den Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 Alt. 3 VereinsG.

Das BVerwG hat die gegen das Vereinsverbot gerichtete Klage abgewiesen. Das BMI sei zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Spendensammelverein gegen den Gedanken der Völ-kerverständigung richtet. Ein Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung liege insbesondere vor, wenn Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineingetragen oder zur gewaltsa-men Beseitigung eines Staates aufgerufen werde. Der Verbot-statbestand sei auch dann erfüllt, wenn ein Verein eine Grup-pierung unterstütze, die sich ihrerseits gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Das Gericht knüpft damit an seine bereits früher begründete Rechtsprechung an, dass es für die Erfüllung des Verbotstatbestandes nicht erforderlich ist, dass der Verein selbst durch Ausübung von Gewalt das fried-liche Miteinander der Völker beeinträchtigt.30 Ebenso genüge die Unterstützung einer Vereinigung (hier: Hisbollah), die das Existenzrecht eines Staates (hier: Israel) vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen zwei Völkern in der Weise verneine, dass sie zur gewaltsamen Beseitigung dieses Staats aufruft.31 Es reiche aus, dass der Spendensammelverein lediglich mit-telbar zu der gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichteten Tätigkeit (der Hisbollah) beitrage. Daher sei auch nicht erforderlich, dass die Unterstützungsleistung unmittelbar den militärischen oder terroristischen Teilen einer Gewalt aus-übenden Organisation zugutekomme.

Der Verein „Farben für Waisenkinder e.V.“ erfülle den Ver-botstatbestand, weil er über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang (im Zeitraum von 2007 bis August 2013 mit einem Geldbetrag von über 3 Mio. €) die Shahid Stiftung im Libanon unterstützt habe. Diese sei integraler Bestandteil der Hisbollah, die ihrerseits das Existenzrecht des Staates Israel negiere, zu dessen gewaltsamer Besei-tigung aufrufe und sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Die von der verbotenen Verei-nigung unterstützte Shahid Stiftung betreue Waisenkinder und Hinterbliebene von Hisbollah-Kämpfern, die u.a. bei

29 BVerwG, Urt. v. 16.11.2015 - 1 A 4/15.30 BVerwG, Urt. v. 03.12.2004 - 6 A 10/02 Rn. 18.31 So schon BVerwG, Gerichtsbescheid v. 08.08.2005 - 6 A 1/04 Rn. 26.

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Prüfung ohne Prüfungsordnung – zur Anwendbarkeit einer Hochschulprüfungs-ordnung vor BekanntmachungBVerwG, Beschl. v. 27.01.2015 - 6 B 43/14

Dr. Stefan Danz*

A. Problemstellung

Wie jede grundrechtsrelevante Maßnahme unterfallen auch (Hochschul-)Prüfungen dem grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalt, denn insbesondere mit der Feststel-lung eines negativen Ergebnisses kann ein Studierender ggf. von einem weiteren Studium und damit dem an-gestrebten Berufsziel ausgeschlossen werden.1 Daher können Prüfungen nur auf der Grundlage wirksam be-schlossener und bekannt gemachter Prüfungsordnungen abgenommen werden, die kraft Satzungsautonomie von den Hochschulen erlassen werden, die ihrerseits ihre Ermächtigung in § 16 HRG sowie den Landeshochschul-gesetzen finden. Unterlagen Prüfungsordnungen in der Vergangenheit der ministeriellen Genehmigung,2 sind an die Stelle eines Genehmigungsverfahrens die Akkreditie-

rung des Studiengangs sowie eine bloße rechtsaufsicht-liche Kontrolle durch die zuständigen Landesministerien getreten, während Beschlussfassung, Genehmigung und Bekanntmachung nunmehr allein in der Hand der Hoch-schulen liegen. Voraussetzung für eine die Berufsfrei-heit beschränkende, negative Prüfungsentscheidung ist somit eine Prüfungsordnung, die durch die zuständigen Gremien beschlossen, durch den Leiter der Hochschule genehmigt und im Verkündungsorgan der Hochschule bekannt gemacht wurde, anderenfalls fehlt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Zwar hat die Rechtspre-chung schon früh anerkannt, dass für die Funktionsfä-higkeit der Verwaltung eine ohne ausreichende Rechts-grundlage erlassene Prüfungsordnung sowie eine an Bekanntmachungsmängeln leidende Prüfungsordnung

Kampfhandlungen gegen die israelischen Streitkräfte ums Leben kamen. Die Tätigkeit der Stiftung ziele damit darauf ab, durch die soziale Absicherung der Hinterbliebenen der sog. Märtyrer die Bereitschaft zur gewaltsamen Beseiti-gung des Staates Israel zu wecken und zu stärken.

Das BVerwG ist in der von ihm durchgeführten Beweisauf-nahme zu dem Ergebnis gekommen, dass der Spenden-sammelverein auch die subjektiven Voraussetzungen des Verbotstatbestandes des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG erfüllt. Dem Verein sei bekannt gewesen, dass seine finan-ziellen Zuwendungen an die Shahid Stiftung im Ergebnis der Hisbollah zugutekamen. Zudem habe er sich mit der Hisbollah und der von dieser propagierten Negierung des Existenzrechts Israels sowie mit den von ihr ausgehenden Gewalttaten identifiziert.

F. Ausblick

Gefahren für unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gehen von islamistischen Einzeltätern, in gesteigerter Form jedoch vom organisierten Islamismus aus. Das Grundgesetz selbst sieht in Art. 9 Abs. 2 GG das Mittel des Vereinsverbots vor, um entsprechenden Gefahren entgegenzutreten. Das BVerwG hat in seiner neueren Rechtsprechung verdeutlicht, dass die religiös verbrämte Propaganda für den „Heiligen Krieg“ und für die Befolgung der Scharia ein Vereinsverbot

rechtfertigen kann. Das ermöglicht ein Einschreiten gegen Mo-scheevereine, in denen Hasspredigten gehalten und Jugendli-che für den Kampf im Dschihad rekrutiert werden. Mit seiner Rechtsprechung zu den Unterstützervereinen gibt das Gericht den Gefahrenabwehrbehörden aber zugleich die Möglichkeit, das Umfeld „auszutrocknen“. Denn auch die finanzielle und soziale Absicherung des Umfelds islamistischer Gewalttäter kann das Verbot eines Unterstützervereins begründen.

Für die zukünftige Entwicklung der Rechtsprechung dürfte der Hinweis des Gerichts in seinem Urteil vom 16.11.2015 von Bedeutung sein, dass ein erleichterter Nachweis des subjektiven Unterstützungstatbestands geboten sein könn-te.32 Das Gericht lässt offen, ob es zukünftig noch verlan-gen wird, dass die Unterstützung einer objektiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung handelnden Vereini-gung von einem entsprechenden Willen der Unterstützer-vereinigung getragen sein muss. Nach Ansicht des BVerwG könnte eine Schutzlücke etwa dann entstehen, wenn für die Identifikation mit den Zielen der unterstützten Orga-nisation mehr als ein bedingter Vorsatz gefordert würde. Die gefahrenabwehrrechtliche Funktion des Vereinsverbots spreche dagegen, zu hohe Anforderungen an die subjek-tiven Voraussetzungen des Verbotstatbestandes zu stellen.

32 BVerwG, Urt. v. 16.11.2015 - 1 A 4/15 Rn. 46.

* Der Autor ist Justiziar an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und vertrat diese im erörterten Verfahren.

1 BVerfG, Beschl. v. 14.03.1989 - 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 - BVerfGE 80, 1; Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 380 f.; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 8 ff.

2 Salzwedel in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, 2. Aufl. 1996, S. 720 f.

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zumindest als bloße Verwaltungsvorschrift Geltung be-ansprucht.3 Offengeblieben war jedoch bisher, ob hier-auf gestützt auch Entscheidungen und Verwaltungsakte erlassen werden können, die zum Ausschluss eines Stu-dierenden vom gewählten Studium führen können und damit zum schwerwiegendsten Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufszugangsfreiheit.4 Mit dieser Frage hatte sich nunmehr in einem die Universität Jena betreffenden Verfahren das BVerwG zu befassen. Mit der hier vorzustellenden Entscheidung wies der Senat eine Nichtzulassungsbeschwerde zurück und bestätigte damit eine Entscheidung des OVG Weimar,5 wonach eine Prü-fungsordnung auch vor ihrer Bekanntmachung uneinge-schränkt angewendet werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Zuge der sog. Bologna-Reform, die der europawei-ten Angleichung der Studiensysteme und der Entwick-lung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes diente, hatten alle Hochschulen in Deutschland ihre Stu-diengangstruktur von den tradierten Diplom- und Ma-gisterabschlüssen in modular aufgebaute Bachelor- und Masterstudiengänge zu überführen.6 Im Gegensatz zu einer Abschlussprüfung, bei der innerhalb eines bestimm-ten Zeitraumes eine festgelegte Anzahl an schriftlichen und mündlichen Prüfungen sowie eine Abschlussarbeit zu absolvieren waren, sind die Leistungen studienbegleitend zu erbringen, die in ihrer Gesamtheit bei Erreichen einer bestimmten Anzahl an Leistungspunkten nach dem Eu-ropean Credit Transfer System (ECTS) den Bachelor- oder den Master-Abschluss bilden. Einen wesentlichen Aspekt in diesem Umstellungsprozess bildet insbesondere eine gesetzliche Akkreditierungspflicht der neuen Studiengän-ge (vgl. § 43 ThürHG) durch eine ihrerseits anerkannte Akkreditierungsagentur.7

Die verfahrensbeteiligte Universität beschloss, mit dieser Umstellung im Wintersemester 2008/2009 zu beginnen, so-dass ab dem 01.10.2008 in den ersten Fakultäten der Studi-enbetrieb in der neuen Studiengangstruktur aufgenommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die hierfür notwendigen neuen Studien- und Prüfungsordnungen von den universitä-ren Gremien zwar beschlossen, jedoch noch nicht genehmigt und förmlich bekannt gemacht, was erst erfolgen sollte, so-bald die erwartete, abschließende Akkreditierung seitens der Akkreditierungsagentur vorlag. Nachdem dies dann Ende 2008 der Fall war, genehmigte zunächst der Rektor der Uni-versität die Ordnungen, Anfang März 2009 wurden sie im Verkündungsblatt der Universität bekannt gemacht und tra-ten rückwirkend zum 01.10.2008 in Kraft. Da die Bekannt-machung erst nach dem Ende der Vorlesungszeit und in der

laufenden Prüfungsphase erfolgte, waren im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Prüfungen auf der Grundlage der neuen Ordnungen abgenommen worden.

Der hiergegen klagende Studierende legte im Febru-ar 2009 und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die ihn betreffende Prüfungsordnung noch nicht verkündet war, eine Modulprüfung ab, die aufgrund mangelhafter Leis-tung mit nicht bestanden zu bewerten war. An der da-raufhin festgesetzten Wiederholungsprüfung im März 2009 nahm er dann ohne Angabe von Gründen nicht teil. Daraufhin wurde ihm mit Bescheid der zuständigen Stelle das endgültige Nichtbestehen der Prüfung und – da es sich um eine Pflichtveranstaltung handelte, die Bestand-teil des Bachelor-Abschlusses war – auch das endgültige Nichtbestehen des Studienganges insgesamt mitgeteilt, womit eine Fortsetzung des Studiums nicht mehr möglich war. Gegen diese, im Widerspruchsverfahren bestätigte Feststellung wendete sich der Kläger unter Verweis auf eine fehlende Rechtsgrundlage für die Beendigung seines Studiums. Das OVG Weimar wies, nachdem erstinstanzlich der Kläger noch Erfolg hatte, die Klage mit der tragenden Begründung ab, dass die Prüfungsordnung entgegen der klägerischen Auffassung auch auf seine Prüfung anwend-bar sei und daher in der Konsequenz auch zum Ausschluss aus dem Studium führen könne. Mit der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bestätigte nun das BVer-wG, dass in bestimmten Konstellationen zur Vermeidung eines rechtlosen Raumes Rechtsnormen auch dann zur Anwendung kommen, wenn sie noch nicht förmlich be-kannt gemacht wurden.

Schon zuvor war anerkannt, dass Regelungen, die einem bereichsspezifischen Gesetzesvorbehalt nicht genügen8 oder mangels wirksamer Bekanntmachung noch nicht in Kraft getreten sind,9 zumindest für einen Übergangszeit-

3 Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 58; Zim-merling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 30.

4 Von der Anfechtbarkeit einer solchen Entscheidung geht Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 381, aus.

5 OVG Weimar, Urt. v. 15.04.2014 - 1 KO 183/11.6 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfG, Beschl. v. 07.08.2007

- 1 BvR2667/05 - BVerfGK 12, 17; Wex, Bachelor und Master, Die Grundlagen des neuen Studiensystems in Deutschland, 2005.

7 Brinktrine, WissR 42 (2009), 164; Wilhelm, Verfassungs- und verwal-tungsrechtliche Fragen der Akkreditierung von Studiengängen, 2008. Die Verfassungsmäßigkeit des Akkreditierungsverfahrens liegt zudem dem BVerfG (Az. 1 BvL 8/10) zur Prüfung vor.

8 So bereits BVerfG, Beschl. v. 27.01.1976 - 1 BvR 2325/73 - BVerfGE 41, 251; BVerwG, Beschl. v. 11.06.1979 - 7 B 135/78; BVerwG, Urt. v. 13.01.1982 - 7 C 95/80 - BVerwGE 64, 308; BVerwG, Urt. v. 01.06.1995 - 2 C 16/94 - BVerwGE 98, 324.

9 BVerwG, Beschl. v. 02.08.1988 - 7 B 90/88; BVerwG, Beschl. v. 15.12.1988 - 7 B 190/88 – nicht veröffentlicht; VG Leipzig, Urt. v. 15.08.1997 - 4 K 1819/1996.

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raum – einer Verwaltungsvorschrift vergleichbar – ange-wendet werden können, sofern und soweit es zur Wah-rung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen oder der Funktionsfähigkeit der Verwaltung unerlässlich ist. Dies gilt – so das BVerwG – jedenfalls immer dann, wenn die noch nicht in Kraft gesetzten Regelungen vom zustän-digen Normgeber bereits beschlossen worden sind und die Betroffenen sich ohne Weiteres Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen konnten. Diese schon bisher anerkann-ten Grundsätze übertrug das Gericht nun konsequent auf die neue Studiensystematik und präzisierte zugleich de-ren Voraussetzungen.

So habe nach Auffassung des Senates eine gesetzliche Verpflichtung für die beklagte Hochschule bestanden, spätestens bis zum Wintersemester 2008/2009 die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen.10 Da ein Wesensmerkmal der neuen Studiengänge der Aufbau aus Lern- und Prüfungseinheiten ist, musste die Hochschule am Ende des ersten Studiensemesters die für dieses Se-mester vorgesehenen Prüfungen in den Modulen anbie-ten. Dies machte es unumgänglich, neue, auf den modu-laren Studienaufbau bezogene Ordnungen zu erlassen. Nachdem die zuständigen Gremien rechtzeitig vor Beginn des Semesters die Ordnungen beschlossen hatten, fehlte lediglich die gesetzlich vorgeschriebene qualitative Be-wertung durch die Akkreditierungsagentur. Diese für die Bekanntmachung abzuwarten, ist nachvollziehbar und sachgerecht, da hierdurch unter Umständen eine noch-malige Befassung mit den Ordnungen durch die Gremien erforderlich geworden wäre. Als diese dann Ende 2008 vorlag, wurde das Normsetzungsverfahren mit Genehmi-gung und Veröffentlichung der inhaltlich unveränderten Ordnungen fortgesetzt. Abgeleitet aus Art. 12 Abs. 1 GG bestand somit für die Studierenden ein geschütztes Inte-resse, dass sie die für das Semester vorgesehenen Prü-fungen ablegen können, da es sonst – das Bestehen der Prüfungen ist Voraussetzung für die Fortsetzung des Stu-diums und damit ihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsausbildung – zu von ihnen nicht zu vertretenden Verzögerungen gekommen wäre. Ohne die vorzeitige An-wendung der noch nicht als Satzungsrecht in Kraft getre-tenen neuen Prüfungsordnung hätten die Prüfungen nicht stattfinden können, vielmehr hätten diese ohne unmit-telbaren Bezug zur Lehrveranstaltung später stattfinden müssen.

Wenn nun die reibungslose Fortführung des Studiums eine vorzeitige Anwendung erfordert, gebietet der das gesam-te Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz der Chancen-gleichheit11 zugleich, dass auch eine nicht oder endgültig nicht bestandene Prüfung nach den Regelungen dieser Ordnung anzuerkennen ist und das Erlöschen des Prü-

fungsanspruches nach sich ziehen kann. Insofern gelten bei einer nicht wirksam veröffentlichten Ordnung nicht nur – zugunsten der Studierenden – die positiven Prüfungsleis-tungen, sondern umgekehrt muss ein Studierender sich auch die negativen Studienleistungen entgegenhalten lassen, sodass in der Konsequenz auch ein Eingriff in grundrechtlich geschützte subjektive Positionen – hier die Berufsfreiheit in Form des Berufszugangs – ohne wirksam veröffentlichte Prüfungsordnung möglich ist. Somit konnte die beklagte Hochschule rechtmäßig auch das endgültige Nichtbestehen des Moduls und damit des Studienganges zulasten des Klägers feststellen.

C. Bewertung

Die Bedeutung des Beschlusses liegt auf der Hand: Zum einen betont das Gericht den im Prüfungsrecht maßgeb-lichen Grundsatz der Chancengleichheit, an dem sich alle prüfungsrechtlich relevanten Entscheidungen zu orien-tieren haben, selbst wenn dies zu einem Ausschluss vom Studium führt. Das Konstrukt einer übergangsweise gel-tenden Prüfungsordnung wurde unter Berücksichtigung der Prüfungsmodalitäten in der neuen Studiengangstruk-tur konsequent weiterentwickelt und damit die Anforde-rungen, wann übergangsweise eine noch nicht veröffent-lichte Ordnung angewendet werden kann, präzisiert. Zur Wahrung rechtsstaatlicher Erfordernisse ist dabei immer die Kenntnis der maßgeblichen Ordnung durch den Ad-ressaten entscheidend. Damit hat die Entscheidung – zum anderen – eine über den Einzelfall und das Rechtsgebiet weit hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, da unter den genannten engen Voraussetzungen dieser Grundsatz auch auf andere nicht veröffentlichte Ordnungen – z.B. im Kommunalrecht – übertragen werden kann. Der rechts-staatliche Grundsatz der Gesetzesbindung, der eine for-male Rechtsgrundlage voraussetzt, wird hierdurch nicht ausgehöhlt, nur in bestimmten Konstellationen können – ebenso verfassungsrechtlich begründete – subjektive Interessen demgegenüber überwiegen.

10 Zur Zulässigkeit, Diplomstudiengänge nur noch zeitlich befristet an-zubieten VGH Kassel, Beschl. v. 23.03.2015 - 9 A 1479/13.Z; OVG Bre-men, Beschl. v. 10.03.2014 - 2 A 146/12.

11 BVerfG, Beschl. v. 17.04.1991 - 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 - BVerfGE 84, 34 und BVerfG, Beschl. v. 17.04.1991 - 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87 - BVerfGE 84, 59.

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Doch keine Aufteilbarkeit der Kosten für ein häusliches ArbeitszimmerBFH, Beschl. v. 27.07.2015 - GrS 1/14

VRiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel

A. Problemstellung

Die Erledigung beruflicher Angelegenheiten zu Hause ge-hört zum Alltag. Der Ort, an dem sie geschieht, ist regel-mäßig das häusliche Arbeitszimmer, es wird maßgeblich dafür eingerichtet. Nach allgemeinen Grundsätzen (§ 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) liegt so die Veranlassung der Arbeitszimmerkosten durch den Beruf nahe. Wird das Arbeitszimmer teilweise für private Zwecke genutzt, spricht nach Wegfall des sog. Aufteilungs- und Abzugsverbots1 viel für eine anteilige Zuordnung zur beruflichen Tätigkeit und entsprechend steuermindernde Berücksichtigung der Auf-wendungen. In diesem Sinne hat sich auch der IX. Senat des BFH in seinem Beschluss vom 21.11.2013 - IX R 23/122 geäußert, mit dem er dem Großen Senat des BFH (GrS) die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt hat, ob der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers voraussetzt, dass der jewei-lige Raum (nahezu) ausschließlich für betriebliche/berufli-che Zwecke genutzt wird.

B. Gegenstand und Inhalt der Entscheidung

I. Zu entscheiden war über die Auslegung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG. Danach dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung den Gewinn nicht mindern. Das gilt nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG). In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Ar-beitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG).

In dem der Entscheidung des GrS zugrunde liegenden Ver-fahren machte der Kläger für ein häusliches Arbeitszimmer in dem von ihm bewohnten Einfamilienhaus Aufwendun-gen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend, weil das Zimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit bilde. Unstreitig machte der berufliche Nutzungsanteil des wie ein typisches Büro eingerichteten Raumes 60 % aus.3 Nach einer Ablehnung des Finanzamts und einer weitgehenden Klagestattgabe seitens des Fi-

nanzgerichts4 führte die Revision des Finanzamts zunächst zur Vorlage an den GrS des BFH.

II. Im Vorlagebeschluss vertritt der IX. Senat des BFH die Auffassung, dass der Begriff des häuslichen Arbeitszim-mers keine (nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung voraussetzt. Die Aufwendungen für das häus-liche Arbeitszimmer seien aufzuteilen. Die Verwendung der Wohnung für betriebliche/berufliche Zwecke führe zu gemischten Aufwendungen. Die Aufgabe des Aufteilungs- und Abzugsverbots beeinflusse die Auslegung und Anwen-dung des Arbeitszimmerbegriffs. Dem Gesetzeswortlaut sei eine Einschränkung auf eine (nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung nicht zu entnehmen. Auch eine Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG als lex specialis ergebe nicht, dass Aufwendungen für ein häusli-ches Arbeitszimmer nicht aufzuteilen seien. Vielmehr setze die Abzugsbeschränkung das Vorliegen nach allgemeinen Grundsätzen abziehbarer Aufwendungen voraus und be-grenze deren Abzug typisierend im Hinblick auf die all-gemeine Einbindung des Arbeitszimmers in den privaten Wohnbereich.

III. Ganz anders die Entscheidung des GrS: Aufwendungen für einen in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen ein-gebundenen Raum, der sowohl zur Erzielung von Einkünf-ten als auch – in mehr als nur untergeordnetem Umfang – zu privaten Zwecken genutzt wird, sind insgesamt nicht abziehbar:

1. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG enthält ein Abzugsverbot. Selbst wenn die Aufwendungen für ein häusliches Arbeits-zimmer ausschließlich betrieblich/beruflich veranlasst sind, sind sie grds. nicht abziehbar. Denn eine Nachprüfung der Nutzung durch die Finanzbehörden ist wegen des engen Zusammenhangs zur Sphäre der privaten Lebensführung (Art. 13 GG) wesentlich eingeschränkt. Nur wenn kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder das Arbeits-zimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen/beruf-lichen Betätigung bildet, ist ein Abzug möglich. Denn der Steuerpflichtige ist in diesen Fällen auf einen häuslichen Arbeitsplatz angewiesen.

2. Häusliches Arbeitszimmer ist ein Raum, der seiner Aus-stattung nach der Erzielung von Einnahmen dient. Es ist

1 Vgl. Beschluss des GrS des BFH v. 21.09.2009 - GrS 1/06 - BFHE 227, 1, BStBl. II 2010, 672.

2 BFHE 243, 563, BStBl. II 2014, 312; dazu Schallmoser, jM 2014, 165 ff.3 Zum Ausgangsfall und der Entscheidung des Finanzgerichts vgl.

Schallmoser, jM 2014, 165 ff.4 EFG 2012, 2100.

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seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häus-liche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden und dient vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher, ver-waltungstechnischer oder -organisatorischer Arbeiten. Der Raum ist typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet (vor allem Schreibtisch).

Aufwendungen für Räume innerhalb des privaten Wohnbe-reichs des Steuerpflichtigen, die nicht dem Typus des häus-lichen Arbeitszimmers entsprechen, können unbeschränkt abziehbar sein, wenn sie betrieblich/beruflich genutzt werden und sich der betriebliche/berufliche Charakter des Raums und dessen Nutzung anhand objektiver Kriterien feststellen lassen. So sind etwa die Aufwendungen für eine Notarztpraxis, ein häusliches Tonstudio oder ein Wa-renlager voll abziehbar. Der für die Abzugsbeschränkung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG maßgebliche Grund der nicht auszuschließenden privaten Mitbenutzung gilt für diese Räume nicht. Denn bereits aus ihrer Ausstattung (z.B. als Werkstatt) und/oder wegen ihrer Zugänglichkeit durch dritte Personen lässt sich eine private Mitbenutzung aus-schließen.

3. Dass ein Arbeitszimmer überdies (nahezu) ausschließ-lich zur Erzielung von Einkünften genutzt werden muss, legt nach Auffassung des GrS bereits der Gesetzeswort-laut nahe. Ob freilich das von ihm hier bemühte allgemei-ne Wortverständnis tatsächlich greift, darf angezweifelt werden.

Auch die vom GrS maßgeblich bemühte Gesetzeshistorie5 und das Argument, der Gesetzgeber habe erkennbar an den überkommenen Typusbegriff des Arbeitszimmers angeknüpft, der eine (nahezu) ausschließliche Nutzung für betriebliche/berufliche Zwecke verlangte,6 weisen auf einen Rechtszu-stand, in dem das Aufteilungs- und Abzugsverbot noch galt. Zutreffend konstatiert auch der GrS: „Ob sich durch den Be-schluss des GrS des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 an diesem Erfordernis etwas geändert hat, war bislang nicht Gegenstand einer BFH-Entscheidung“. Gleichwohl meint er, wenn der Gesetzgeber den in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung geprägten Begriff des häuslichen Arbeits-zimmers in ein Gesetz einfüge, sei davon auszugehen, dass er ihn auch entsprechend dieser Prägung verwende und im Gesetz – ungeachtet der weiteren Entwicklung der Recht-sprechung in diesem Punkt – festschreiben wolle. Will heißen: Auch wenn sich die Rechtsprechung „in diesem Punkt“ – gemeint ist die Abziehbarkeit gemischter Aufwendungen – grds. ändert, tut sie dies gerade beim Arbeitszimmer nicht, auch wenn der traditionelle Arbeitszimmerbegriff an das Aufteilungs- und Abzugsverbot geknüpft war.

Maßgeblich geleitet scheint den GrS aber folgender As-pekt zu haben: Aufwendungen für ein Arbeitszimmer sei-

en vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen, um zu „einer sachgerechten Abgrenzung des beruflichen und des privaten Bereichs des Steuerpflichtigen“ zu gelan-gen, „Gestaltungsmöglichkeiten zu unterbinden und den Verwaltungsvollzug zu erleichtern“.7 Diese Ziele würden verfehlt, wären Aufwendungen für als Arbeitszimmer ausgestattete Räume in betrieblich/beruflich veranlasste Aufwendungen einerseits und privat veranlasste Kos-ten andererseits aufzuteilen. Der Umfang der jeweiligen Nutzung lasse sich objektiv nicht überprüfen. Auch ein „Nutzungszeitenbuch“ sei kein geeignetes Mittel, die je-weiligen Nutzungszeiten nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Die darin enthaltenen Angaben besäßen keinen über die darin liegende Behauptung des Steuerpflichtigen hinausgehenden Beweiswert und seien regelmäßig – an-ders als etwa Fahrtenbücher – nicht anhand eines Ab-gleichs mit anderen Informationen überprüfbar. Ebenso mangele es an hinreichenden Maßstäben, anhand derer die jeweiligen Anteile geschätzt werden könnten. Dieser Unterschied zum Fahrtenbuch erscheint schwer nachvoll-ziehbar; dass man den Anteil der beruflichen Nutzung nicht schätzen könnte, ebenso.

Nicht zu Unrecht bemüht der GrS eine Hilfsbegründung: Selbst wenn Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszim-mer nach allgemeinen Grundsätzen – soweit betrieblich/beruflich genutzt – anteilig als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar wären, schließe die Spezialre-gelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG den Abzug aus. Auch dies systematisch nicht zwingend.

C. Auswirkungen auf die Praxis

I. Der GrS hat verbindlich für das nun vom IX. Senat zu ent-scheidende Ausgangsverfahren und für die noch ruhenden bzw. künftigen Arbeitszimmerfälle gesprochen:

Ein häusliches Arbeitszimmer setzt neben einem büromä-ßig eingerichteten Raum voraus, dass es ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche oder berufliche Zwecke genutzt wird. Fehlt es hieran, sind die Aufwendun-gen hierfür insgesamt nicht abziehbar. Eine Aufteilung und anteilige Berücksichtigung im Umfang der betrieblichen oder beruflichen Verwendung scheidet aus.

5 BT-Drs. 13/1686, S. 16; BR-Drs. 171/2/95, S. 36.6 Verweis etwa auf BFH, Urt. v. 06.02.1992 - IV R 85/90 - BFHE 167, 114,

BStBl. II 1992, 528; BFH, Urt. v. 18.10.1983 - VI R 180/82 - BFHE 139, 518, BStBl. II 1984, 110 sowie BFH, Urt. v. 29.11.2006 - VI R 3/04 - BFHE 216, 163, BStBl. II 2007, 308; BFH, Beschl. v. 13.11.2007 - VI B 100/07 - BFH/NV 2008, 219; BFH, Beschl. v. 19.07.2005 - VI B 175/04 - BFH/NV 2005, 2000; BFH, Beschl. v. 04.05.2005 - VI B 35/04 - BFH/NV 2005, 1549.

7 BR-Drs. 171/2/95, S. 36.

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Strafrecht

Der nachfolgende Beitrag stellt den aktuell noch im Ge-setzgebungsverfahren befindlichen Kabinettsentwurf zur Regelung der Korruption im Gesundheitswesen vor. Neben ersten Interpretationsansätzen werden naheliegende Än-derungen und Ergänzungen des Entwurfs vorgeschlagen.

A. Anlass zur Neuregelung

Rückblende: 2002 hatte der BGH in der sog. Herzklappen-Entscheidung wesentliche Weichen hin zu einer extensiven Auslegung des Korruptionsstrafrechts und dessen Anwen-dung im medizinischen Bereich gestellt.1

Mit Beschluss vom 29.03.2012 traf der Große Senat für Strafsachen sodann die rechtspolitisch konträre Entschei-dung, ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Ver-sorgung zugelassener Arzt handele bei der Wahrnehmung der ihm nach § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgabe der Verordnung von Arzneimitteln weder als Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen i.S.d. § 299 StGB.2 Dahinter stand Folgendes: Der im Ursprungsverfahren3 angeklag-te Pharmareferent, der Ärzte über ein Prämiensystem (im Einzelfall mit Zahlungen bis zu 18.000 €) zur bevorzug-ten Verordnung einzelner Medikamente veranlasst hatte, war straflos, weil sein Verhalten bei genauer Subsumtion weder den Vorschriften zur Amtsträgerkorruption nach §§ 331 ff. StGB noch denen zur Bestechung im geschäft-lichen Verkehr gem. §§ 299 ff. StGB unterfiel. Die bevor-teilten Ärzte waren in Bezug auf §§ 331 ff. StGB „nicht dazu bestellt, im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen

Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen“.4 Zugleich fehlte es an einer Beauftragung durch die Kran-kenkassen i.S.d. § 299 StGB.5

Aus Sicht des Patienten traf die Entscheidung des Großen Senats voll zu: Schon der alte Eid des Hippokrates lautet an der entsprechenden Stelle: „Δ ιαιτήμασί τε χρήσομαι ἐπ‘ ὠφελείῃ καμνόντων κατὰ δύναμιν καὶ κρίσιν ἐμὴν, ἐπὶ δηλήσει δὲ καὶ ἀδικίῃ εἴρξειν“.6 Der Arzt ist demnach den Patienten verpflichtet und nicht den Krankenkassen. Das höchst komplizierte deutsche Recht der Krankenversiche-rung kann daran nichts ändern und den Arzt etwa zum Die-ner zweier Herren zu machen.

Den Bogen zur Entscheidung aus dem Jahr 2002 spannte der Große Strafsenat im letzten amtlich veröffentlichten Absatz der Entscheidung: Er bestätigte zunächst, dass die Konsequenzen seiner Entscheidung rechtspolitisch unbe-friedigend anmuten, und forderte in der Folge den Gesetz-geber zum Handeln auf.7

Die geplanten Neuregelungen zur „Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ – eine kritische Übersicht

Prof. Dr. Marco Mansdörfer

II. Die vom GrS abgelehnte Aufteilung nach beruflichen und privaten Nutzungszeiten sieht er in Übereinstimmung mit dem Beschluss vom 21.09.2009 - GrS 1/06.8 Danach sind Reiseaufwendungen bei gemischt beruflich/betrieblichen und privat veranlassten Reisen nach Maßgabe der Zeitan-teile der Reise aufteilbar. Dem soll keine Bedeutung zukom-men, da § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG eine allgemeinen Grundsätzen vorgehende Spezialregelung sei.

III. Geklärt ist damit auch, dass Aufwendungen für eine sog. Arbeitsecke nicht abzugsfähig sind, da derartige Räume schon ihrer Art und ihrer Einrichtung nach erkennbar auch privaten Wohnzwecken dienen.

8 Vgl. Beschluss des GrS des BFH v. 21.09.2009 - GrS 1/06 - BFHE 227, 1, BStBl. II 2010, 672.

1 BGH, Urt. v. 23.10.2001 - 1 StR 541/01 - BGHSt 48, 44; dazu damals Mansdörfer, wistra 2003, 211 ff.

2 BGH, Beschl. v. 29.03.2012 - GSSt 2/11 - BGHSt 57, 202.3 LG Hamburg, Urt. v. 09.12.2010 - 618 KLs 10/09.4 BGH, Beschl. v. 29.03.2012 - GSSt 2/11 - BGHSt 57, 202, 206 Rn. 14.5 BGH, Beschl. v. 29.03.2012 - GSSt 2/11 - BGHSt 57, 202, 206 Rn. 29.6 „Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der

Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht.“ (Übersetzung nach Wikipedia).

7 BGH, Beschl. v. 29.03.2012 - GSSt 2/11 - BGHSt 57, 202, 218 Rn. 46.

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B. Zur gesetzgeberischen Grundentscheidung: Wettbewerbs- versus patientenbezogener Ansatz

Die Bundesregierung ist der Aufforderung des höchsten deutschen Gerichts zum Tätigwerden inzwischen nach-gekommen und hat mit Datum vom 21.10.2015 den Kabinettsentwurf8 eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen dem Bundestag zur Beschlussfassung zugeleitet.9 Der Bundestag hat am 13.11.2015 zum ersten Mal beraten und den Gesetzent-wurf, wie beantragt, den Ausschüssen für Recht, Inneres und Gesundheit überwiesen:10

Der Kabinettsentwurf sieht Handlungsbedarf im gesam-ten Gesundheitswesen und unterscheidet daher nicht zwischen Kassenärzten und Privatärzten.11 Er führt mit den neuen §§ 299a und 299b StGB zwei abstrakte Ge-fährdungsdelikte12 der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen in das Strafgesetzbuch ein. Damit wird „Angehörigen“ von Heilberufen verboten, Vorteile als Ge-genleistung dafür zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, dass die bei der Verordnung oder der Abgabe von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln von Medizin-produkten oder bei der Zuführung von Patienten oder Un-tersuchungsmaterial einen anderen in unlauterer Weise im Wettbewerb bevorzugen (§ 299a Abs. 1 Nr. 1 StGB-E) oder ihre berufsständische Pflicht zur Wahrung der heil-beruflichen Unabhängigkeit verletzen (§ 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB-E). Mit diesem wettbewerbsbezogenen Ansatz hat die Bundesregierung zunächst den primär patientenbe-zogenen Vorschlag des Bundesrates zurückgesetzt.13 Da-nach sollten Bestechung und Bestechlichkeit auch ohne eine Verletzung des Wettbewerbs bestraft werden, wenn erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Patienten ent-standen sind. Der Gesetzgeber spricht insoweit von einem „doppelten Rechtsgüterschutz“.14

Wie weit der hervorgehobene Gedanke des Wettbe-werbsschutzes15 am Ende wirklich trägt, ist unklar. Der Gesundheitssektor ist einer der am stärksten regulier-ten Bereiche überhaupt.16 Der Wettbewerb ist damit in vielen Bereichen aufgrund staatlicher Intervention aus-geschlossen bzw. deutlich eingeschränkt. Wo Preise für Medikamente festgelegt sind, fehlt es an sich an einem Preiswettbewerb. Wenn Hersteller hier so nicht vorgese-hene Rabatte oder Prämien einräumen, berührt das den „Wettbewerb“ an sich nicht. Der Sache nach liegt häufig nur eine – in anderen Bereichen speziell unter Strafe ge-stellte – unerlaubte Gebühren- bzw. Preisunterschreitung vor. Wenn spezielle Medikamente oder Therapieangebote ebenfalls nur von einem Hersteller angeboten werden, fehlt es ebenfalls an einem „Wettbewerb“ im Sinne eines Leistungswettbewerbs. Der doppelte Ansatz der Geset-zesbegründung beim Rechtsgüterschutz spricht dafür, bei

fehlendem Wettbewerb – anders als in der Gesetzesbe-gründung vorgesehen17 – das zweite Rechtsgut der Inte-grität der Gesundheitsversorgung zum Zuge kommen zu lassen, sodass echte Strafbarkeitslücken nicht zu erwarten sind.

C. Die gesetzliche Regelung im Einzelnen

Neben der generellen Ungereimtheit, Korruption in einem stark regulierten Wirtschaftsbereich mit Regeln begegnen zu wollen, die für an sich freie Märkte entwickelt wurden, zeigen sich im Detail durchaus weitere Unschärfen und Un-klarheiten.

I. Zur Grundstruktur der §§ 299a und 299b StGB-E

Die Grundstruktur der Neuregelung i.S.d. §§ 299a, 299b StGB ist zunächst noch einigermaßen klar: Angelehnt an das Korruptionsstrafrecht des § 299 StGB18 unterscheidet die Neuregelung zwischen den durch den Heilberuf Sonder-pflichtigen, die Vorteile für sich fordern oder annehmen, in § 299a StGB und dem Extraneus, der diesen Personen Vor-teile anbietet oder gewährt in § 299b StGB. Eine Strafmil-derung, wie sie in der allgemeinen Lehre in § 28 StGB vor-gesehen ist, kommt dem Extraneus freilich – auch insoweit

8 Dem Kabinettsentwurf ging ein – in wesentlichen Teilen divergieren-der – Referentenentwurf voraus, siehe dazu Wigge, NZS 2015, 447 und die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes (DRB-Stellung-nahme zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen vom 10.04.2015).

9 BT-Drs. 18/6446.10 BT-Prot. 18/137, S. 13477, 13485. In diesem Stadium befand sich das

Verfahren auch zum Zeitpunkte des Abschlusses des vorliegenden Beitrags (27.02.2016).

11 BT-Prot. 18/137, S. 13477.12 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 21.13 In BT-Drs. 18/6446, S. 1, 11 wird die „von unlauteren Zuwendungen

unbeeinflusste Gesundheitsversorgung“ erst an dritter Stelle eines komplexen Zielbündels genannt.

14 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 12 heißt es „ebenso schwer wiegt, der Verlust an (...) Integrität heilberuflicher Entscheidungen“, sodass in der weiteren Begründung von einem „doppelten Rechtsgüterschutz“ gesprochen wird. Die zu Beginn der Gesetzesbegründung auch genannte „Kosten-steigerung“ durch Korruption soll nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch „mittelbar“ geschützt werden (BT-Drs. 18/6446, S. 13).

15 Ausdrücklich BT-Drs. 18/6446, S. 1, 11: „Korruption im Gesundheits-wesen beeinträchtigt dem Wettbewerb“.

16 Zur grundlegenden Unterscheidung zwischen grds. regulierten und grds. dem freien Wettbewerb unterliegenden Wirtschaftsfeldern Mansdörfer, Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts, 2011, Rn. 544.

17 Nach BT-Drs. 18/6446, S. 1, 21 soll dieser Fall vorzugsweise über § 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB-E gelöst werden.

18 Zu dieser bewussten Anlehnung BT-Drs. 18/6446, S. 1, 1; im Übrigen nimmt die Gesetzesbegründung bei der Begründung im Einzelnen vielfach explizit Bezug auf die zu § 299 StGB entwickelte Literatur.

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entsprechend den Regelungen in § 299 Abs. 2 StGB – nicht zugute. Vorteile sind – wie im sonstigen Korruptionsstraf-recht – sowohl materielle als auch immaterielle Vorteile für den Täter oder einen Dritten.19 Vorteile im Sinne des Entwurfs sind somit auch Einladungen zu Kongressen, die Übernahme von Kosten für Fortbildungsmaßnahmen, Ver-mögens- oder Gewinnbeteiligungen20 sowie – wegen der damit geschaffenen Verdienstmöglichkeit – unter Umstän-den sogar im Abschluss von Verträgen, die ein angemes-senes Entgelt für die aufgrund des Vertrages geschuldete Leistung vorsehen.21

II. Normadressat: „Angehörige“ eines Heilberufs

Um ein Sonderstrafrecht für Ärzte zu vermeiden, hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf auf alle Personen erstreckt, die auf der Basis einer staatlichen Prüfung im Gesundheitswesen tätig sind.22 Der Begriff des „Angehö-rigen“ im Gesetzestext ist dagegen unglücklich, da hier-mit im Grunde auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwiesen wird. Die dortige Definition des Angehörigen kann in § 299a StGB aber offensichtlich nicht gemeint sein. Angelehnt an § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB hätte die – sprachlich ebenfalls wenig überzeugende – Wendung der „für den Heilberuf besonders verpflichteten Person“ näher gelegen. Eine nähere Definition in § 11 StGB hätte den Gesetzeswort-laut des § 299a StGB von der konkreten Beschreibung des Heilberufs in § 299a StGB entlastet. § 299a StGB-E erfasst dem Willen des Gesetzgebers nach jedenfalls nur solche Berufstätigen, deren Berufsausübung oder Berufs-bezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung zum ent-sprechenden Heilberuf erfordert. Nicht erfasst sind daher Personen, die eine andere (private) oder keine Ausbildung haben. Personen mit z.B. einer kaufmännischen Ausbil-dung fallen auch dann aus dem Tatbestand, wenn sie für z.B. ein Krankenhaus oder ein medizinisches Versorgungs-zentrum Behandlungsmaterial kaufen. Freilich greift insoweit unter Umständen der bestehende Tatbestand des § 299 StGB ein. Personen, die keinen akademischen Heilberuf, sondern lediglich einen Gesundheitsfachberuf, z.B. Krankenpfleger, Physiotherapeuten, ausüben, werden regelmäßig ebenfalls aus dem Bereich der Normadressa-ten ausscheiden. Die Entscheidungskompetenzen dieser Personengruppe ist einerseits im Vergleich zur Gruppe der akademischen Heilberufe eingeschränkt und das gene-relle Korruptionsrisiko geringer.23 Die Erwägung im Kabi-nettsentwurf, auch diese Gruppe in den Anwendungsbe-reich der neuen Tatbestände einzubeziehen, soweit dort korruptive Absprachen in Form von Weiterverweisungen von Patienten in Betracht kommen, kann letztlich nicht überzeugen. Weiterverweisungen von Patienten sind hier i.d.R. unverbindlich, tragen stärkere Züge persön-

licher Empfehlungen und stehen regelmäßig unter dem Vorbehalt ärztlicher Prüfung. Auch die kriminologischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte erfordern nach hier vertretener Auffassung insoweit keine Extensivierung der Strafgewalt.24

III. Strafbarkeit unmittelbarer Unrechtsvereinbarungen zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs bei der Verordnung von Arzneimitteln (§ 299a Abs. 1 Nr. 1 StGB-E)

In § 299a StGB-E schränkt die Bundesregierung die Straf-barkeit auf Bestechungshandlungen ein, während die bloße Vorteilsnahme bzw. Vorteilsgewähr straflos bleibt. Bedeu-tung hat dies für Maßnahmen der sog. Landschaftspflege und die Anforderungen an den Nachweis einer konkreten Unrechtsvereinbarung zwischen den Beteiligten. Die Straf-barkeit der Korruption im Gesundheitswesen bleibt damit deutlich hinter den erheblich gesenkten Schranken der Kor-ruption in der öffentlichen Verwaltung (insbesondere gem. § 331 StGB) zurück.25 Vor allem dort, wo Ärzten sog. ver-deckte Schmiergelder in Form von Honoraren für Vorträge oder Gutachten bezahlt werden, wird sich eine Unrechts-vereinbarung derart, dass der Vorteil als Gegenleistung für die Bevorzugung im Wettbewerb gezahlt wurde, nur schwer nachweisen lassen. Bereits die Höhe von Vortrags-honoraren schwankt in der Praxis erheblich, sodass oft erst „weitere Umstände“26 einen Anfangsverdacht begründen können.

Sachlich beschränkt ist die verbotene Bevorzugung gem. § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E zunächst auf die „Verordnung

19 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 17.20 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 19 mit dem Beispiel der Zuführung von Patien-

ten an ein Unternehmen, an dem der zuweisende Arzt beteiligt ist. Eine Grenze muss hier aber dort liegen, wo der Arzt an dem anderen Unternehmen zu 100 % beteiligt, ist, weil sich dann der Arzt – z.B. der Zahnarzt, der in nach § 11 MBO Bundesärztekammer zulässiger Weise zugleich ein Dentallabor betreibt – selbst bestechen müsste. Der Gesetzentwurf geht hier dagegen von der Notwendigkeit einer „Einzelfallprüfung“ aus und hat als strafbares Verhalten vor allem („nur dann“) Koppelungsgeschäfte im Blick.

21 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 18; in Bezug auf den Abschluss von an sich ausgewogenen Verträgen ausdrücklich in Anschluss an BGH, Urt. v. 10.03.1983 - 4 StR 375/82. Dieser Fall war freilich wegen der dortigen „pauschalen Ablösen der Beratertätigkeiten“ in Form einer Zahlung i.H.v. damals 1 Mio. DM doch besonders gelagert.

22 BT-Prot. 18/137, S. 13477, 13479.23 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 17.24 Im Ergebnis wie hier für eine Einschränkung des Adressatenkreises

Dieners, PharmR 2015, 529, 532.25 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 18; Dieners, PharmR 2015, 529, 530.26 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 18 a.E. und 19 oben.

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oder die Abgabe von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln von Medizinprodukten sowie die Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial“. Damit nimmt der Entwurf ausdrücklich auf Begrifflichkeiten in den einschlägigen Berufsordnungen (§ 31 MBO), dem Medizin- (§ 2 AMG, § 3 MPG) und Sozialrecht (§§ 32, 33 SGB V) Bezug.27 Schwierigkeiten wirft in dieser Reihe der Begriff „Heil-mittel“ auf. Nach dem natürlichen Sprachgebrauch steht „Heilmittel“ bis heute Synonym für Arzneimittel und Me-dikament. Erst im spezifisch sozialrechtlichen Gebrauch erfasst dieser Begriff auch Dienstleistungen in Form von Therapien. In diesem weiteren Sinne soll der Begriff hier nach der Gesetzesbegründung aber verstanden wer-den.28 Dieser extensive Interpretationsansatz gilt auch für den Begriff der „Zuführung von Patienten“. Dazu ge-hört neben der Zuweisung und Überweisung im arzt- und sozialrechtlichen Sinn auch die bloße Empfehlung eines anderen Kollegen. Letzteres sollte freilich überdacht wer-den. Empfehlungen sind wichtige Orientierungspunkte für Patienten. Empfehlungen „aus der Branche“ erfüllen eine wichtige Informationsfunktion und „unbefriedigen-de“ Empfehlungen fallen auf den beratenden Arzt selbst zurück. Der Einsatz von Strafrecht scheint an dieser Front überzogen.

Das ansonsten schwierig zu konkretisierende Tatbe-standsmerkmal der Unlauterkeit dürfte dagegen in der praktischen Anwendung weniger Probleme bereiten, als es die Diskussion früher zu § 12 UWG a.F. und aktuell zu § 299 StGB erwarten lässt. Wenn eine Unrechtsverein-barung nachgewiesen werden kann und entsprechende Vorteile versprochen oder gewährt wurden, ist unlauteres Verhalten indiziert. Unlautere Praktiken indizieren ihrer-seits mögliche Unrechtsvereinbarungen.29 Kriminologisch einschlägige Praktiken sind z.B. im Apothekenbereich Werbekostenzuschüsse, Regal- und Platzierungsmieten sowie übermäßig dotierte Berater- und Referentenver-träge.30 Dem Tatbestandsmerkmal „in unlauterer Weise“ bleibt damit im Grunde kaum eine eigenständige Bedeu-tung.31 Sozial übliche Zuwendungen – wie z.B. die Abga-be von Prüfmustern oder Werbeexemplaren32 – scheiden bereits unter dem Blickwinkel der sozialen Adäquanz aus dem Tatbestand aus.

Mit dem Gesetzentwurf nicht angegangen werden an die-ser Stelle (§ 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E) sog. Anwendungs-beobachtungen und klinischer Studien im Allgemeinen. Anwendungsbeobachtungen werden in der Entwurfsbe-gründung ausdrücklich als „forschungs- und gesundheits-politisch“ wünschenswert eingestuft.33 Die strafrechtliche Bewertung dieser Phänomene soll in erster Linie unter dem Blickwinkel des neu zu schaffenden § 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB-E erfolgen.34

IV. Verletzung der heilberuflichen Unabhängigkeit bei der Verordnung von Arzneimitteln (§ 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB-E)

§ 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB-E soll primär die heilberufliche Unabhängigkeit schützen.35 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft wird demnach die Verletzung der „berufs-rechtlichen Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unab-hängigkeit“. Dies betrifft insbesondere Kooperationen im Gesundheitswesen. Deren Zulässigkeit wird hier künftig im Einzelnen zu überprüfen sein. Die Modelle, die bereits der-zeit im SGB V anerkannt sind, werden auch künftig straffrei bleiben. Darüber hinaus sind Kooperationen im Einzelfall zulässig, wenn sie nicht zulasten der Patienten ausgeübt werden.

An dieser Stelle ebnet der Gesetzgeber dann den Weg zur strafrechtlichen Überprüfung von Anwendungsbeobach-tungen, klinischen Studien und Kooperationen.36 Die in der Umsetzung dieser Regelung drohende Rechtsunsicher-heit will der Gesetzgeber dadurch einschränken, dass er in § 81a SGB V einen „regelmäßigen Erfahrungsaustausch der verschiedenen Beteiligten institutionalisiert“. Über die dort gewonnenen Ergebnisse sind sodann die „Aufsichtsbehör-den zu informieren“. Da in diesem institutionalisierten Er-fahrungsaustausch keine Majorisierung der Staatsanwalt-schaft vorgesehen ist, können die Ermittlungsbehörden damit in Zukunft selbst über die Strafbarkeit medizinischer Kooperationen entscheiden. Eine echte Bindungswirkung der „Ergebnisse des Erfahrungsaustausches“ für Staats-anwaltschaften ist im Gesetzentwurf nicht vorhergesehen. Erst recht nicht die Beteiligung anderer Organe der Rechts-pflege, wie z.B. der Richter oder gar der Strafrechtswissen-schaft. Diese Prozeduralisierung des materiellen Rechts ist an vielen Stellen zwar ein wichtiger Mechanismus zur

27 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 20; Dieners, PharmR 2015, 529, 532, kritisiert an dieser Stelle eine „Vermischung von erstattungsrechtlichen und regulatorischen Begriffen“.

28 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 20.29 Schneider/Ebermann, HRRS 2013, 219, 220, führen insoweit eine

kriminologische „Eisbergtheorie“ an, wonach überhöhte oder un-lautere Vergütungen bildlich wie die Spitze eine Eisbergs Teile einer Unrechtsvereinbarung sichtbar machen.

30 Zu solchen „Verkaufshilfen“ auch Dieners, PharmR 2015, 529, 533.31 So zutreffend bereits die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 18/6446,

S. 1, 21: sofern „diesen Fällen nicht ohnehin bereits (...) keine Un-rechtsvereinbarung zugrunde liegt“.

32 Zu diesem Beispiel Dieners, PharmR 2015, 529, 532.33 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 19.34 Dazu sogleich im Fließtext.35 BT-Prot. 18/137, S. 13477, 13480. Der an dieser Stelle zugleich ange-

sprochene Schutz des Vertrauens der Patienten ist eher ein Reflex.36 Speziell zu den nunmehr aufgezeigten Grenzen der Zusammenarbeit

im Gesundheitswesen Wigge, NZS 2015, 447.

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Gewährleistung rechtssicheren Handelns.37 Der Gesetz-geber gibt im vorliegenden Entwurf die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative aber zu schnell und ohne Not in der Sache auf. Ob noch die Schranke zur Ver-fassungsgemäßheit der Norm im Hinblick auf das Rechts-staatsprinzip und Art. 103 GG eingehalten ist, muss an dieser Stelle offenbleiben. Zweifel bestehen jedenfalls. Die Vorstellung, der Tatbestand des § 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB-E sei im Übrigen dadurch hinreichend eingegrenzt, dass auch eine Unrechtsvereinbarung vorliegen müsse, ist trügerisch. Die (Unrechts?)Vereinbarung wird sich hier deshalb leicht nachweisen lassen, weil die Beteiligten die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus der Kooperation näher beschrei-ben und ihre Zuständigkeiten wechselseitig abgrenzen müssen. Praktische Erfahrungen an anderer Stelle (etwa in der Rechtspraxis zu § 266a StGB)38 zeigen, dass die Straf-barkeitsrisiken nicht zu unterschätzen sind und Behörden und Staatsanwaltschaften in unterschiedlichen Bundeslän-dern divergierende Rechtsauffassungen haben.

Der DAV hat in seiner Stellungnahme daher nicht ohne Grund die Variante einer Genehmigung der Kooperation durch die Sozialrechtsträger vorgeschlagen.39 Angelehnt an diese Idee könnte die Möglichkeit einer Vorfeldanzeige an die Staatsanwaltschaft oder eine administrativ veror-tete Stelle in Anlehnung an entsprechende Regelungen im Geldwäschegesetz (GWG) und im Wettbewerbsrecht gedacht werden: Das GWG enthält in den §§ 11 ff. GWG ein differenziertes System von Meldestellen und Pflichten bei Geldwäsche„verdachts“fällen. Entsprechende Rege-lungen könnten hier für Zweifelsfälle im Bereich medizi-nischer Kooperation erlassen werden. Die entsprechenden Stellen könnten dann mit aus dem allgemeinen Wettbe-werbsrecht bekannten (Gruppen-)Freistellungen typische und grds. unbedenkliche Kooperationsformen generell straffrei stellen. Eine weitere Alternative wären Prüfun-gen auf Anforderung der Beteiligten, z.B. in Anlehnung an die sozialversicherungsrechtliche Prüfung gem. § 28p SGB IV. Dort erfolgt durch den Prüfdienst des zuständigen Rentenversicherungsträgers eine Überprüfung der Abfüh-rung der gesetzlichen Pflichtbeiträge. Führt die Prüfung zu keinerlei Beanstandungen, ergeht eine sog. Prüfmit-teilung. Bei Beanstandungen sollte den Beteiligten eine angemessene Frist zur Abwicklung des Vertragsverhält-nisses eingeräumt werden, deren Einhaltung eine strafbe-freiende Wirkung hätte. In der Gesetzesbegründung wird beispielhaft auf die bereits im SGB V explizit geregelten Formen der Zusammenarbeit verwiesen.40 Dazu gehören Kooperationsvereinbarungen über vor- und nachstationä-re Behandlungen (§ 115a SGB V), die ambulante Behand-lung (§ 115b SGB V), die ambulante spezialärztliche Ver-sorgung (§ 116b SGB V) oder die integrierte Versorgung (§§ 140a ff. SGB V).

V. Verletzung der heilberuflichen Unabhängigkeit beim Bezug von Arzneimitteln (§ 299a Abs. 2 StGB-E)

§ 299a Abs. 2 StGB-E sanktioniert schlussendlich die Bestech-lichkeit im Sinne einer Verletzung der heilberuflichen Unab-hängigkeit bereits beim Bezug von Arzneimitteln etc., die zur Abgabe an Patienten bestimmt sind (sog. Berufsrechtsmo-dell). Der Entwurf sieht hier eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit vor die konkrete Verordnung des Arzneimittels in das Stadium des Bezugs von Waren zunächst auf eigene Rechnung vor.41 Der Entwurf verlässt an dieser Stelle den in § 299a Abs. 1 Nr. 1 StGB-E primär verfolgten wettbe-werbsspezifischen Ansatz und stellt auf die heilberufliche Unabhängigkeit ab.42 Begründet wird dies mit einer „auch aus bloßen Verstößen gegen Preis- und Rabattvorschriften“ folgenden Unlauterkeit, bei der es an dem korruptionsspezi-fischen Unrecht fehle.43 Dies kann freilich nicht überzeugen, wenn man als Hintergrund der Bezugsentscheidung – wie es der Wortlaut der Vorschrift der § 299 Abs. 2 StGB-E nahelegt – ebenfalls eine Unrechtsvereinbarung verlangt. Umgekehrt wird vielmehr befürchtet, dass bei der aktuellen Regelung in der Strafverfolgungspraxis die Schwelle für die Annahme eines Anfangsverdachts sinkt.44

Branchenübliche Rabatte und Skonti sollen von der Vor-schrift auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht er-fasst werden.45

VI. Zum Regelstrafmaß und besonders schweren Fällen

Soweit die neuen §§ 299a, 299b StGB-E als Sanktion die Verhängung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsehen, fügen sie sich in den durch § 299 StGB vorgesehenen Strafrahmen ein. § 300 StGB-E erweitert die besonders schweren Fälle der Bestechlichkeit nun auch auf solche im Gesundheitswesen und sieht hier eine Strafschär-fung bis hin zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor. Der besondere

37 Ausführlich zu diesem Phänomen Eicker, Die Prozeduralisierung des Strafrechts, 2010.

38 Dazu aus Sicht des in der strafrechtlichen Verantwortlichkeit stehen-den Unternehmens Mansdörfer/Habetha, Die Strafbarkeitsrisiken des Unternehmers, 2015, Rn. 390 ff.

39 DAV-Stellungnahme 54/2014.40 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 18.41 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 22.42 Anders noch der Referentenentwurf, vgl. Dieners, PharmR 2015, 529,

530.43 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 22, damit lehnt sich die Begründung an die zum

Referentenentwurf geübte Kritik der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände an, vgl. auch Dieners, PharmR 2015, 529, 531.

44 Dieners, PharmR 2015, 529, 531 mit weitergehender Kritik dieses sog. Berufrechtsmodells.

45 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 23.

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Die Monatszeitschrift

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Schutz der Patienteninteressen würde es an sich nahelegen, als weiteres Regelbeispiel die Gefahr einer besonderen Ge-sundheitsschädigung in den Katalog des § 300 StGB-E aufzu-nehmen. Dies hat auch der Bundesrat bemerkt und eine ent-sprechende Änderung des Kabinettentwurfs angeregt. Die Bundesregierung bemerkt hierzu in einer Gegenäußerung,46 dass § 300 StGB künftig seinem Wortlaut nach gleicherma-ßen auf die allgemeine Korruption im Wettbewerb wie auch auf die Korruption im Gesundheitswesen angewendet wer-den soll. Die mit einer Straftat einhergehende Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung etc. solle daher lediglich als unbenanntes Regelbeispiel erfasst werden.

VII. Erfordernis eines Strafantrags

Der bisherige § 301 StGB wird neu gefasst und erklärt nun-mehr neben § 299 StGB auch die neuen §§ 299a und 229b StGB-E zum beschränkten Antragsdelikt. Antragsberechtigt sind alle Verletzte i.S.v. § 77 StGB. Verletzt in diesem Sinn sind nicht die Patienten, sondern insbesondere die benach-teiligten Mitbewerber. Daneben haben die berufsständischen Kammern, Berufsverbände, die die Interessen des Verletzten vertreten, und gesetzliche bzw. private Kranken-/Pflegekassen ein eigens normiertes Strafantragsrecht. Die Staatsanwalt-schaft kann die Tat von sich aus nur verfolgen, wenn ein be-sonderes öffentliches Interesse die Strafverfolgung gebietet.

D. Verhältnis zu anderen Korruptionsvorschriften

Auf das Verhältnis der §§ 299a und 299b StGB-E zu ande-ren Korruptionsvorschriften wird in dem Gesetzesentwurf nicht explizit eingegangen. In der Sache wird der § 299 StGB – soweit einschlägig – von § 299a, 299b StGB-E als den spezielleren Gesetzen verdrängt werden. Nicht ganz so einfach ist das Konkurrenzverhältnis zu den §§ 331 ff. StGB: Soweit der behandelnde Arzt – z.B. als im öffentli-chen Dienst stehender oder verbeamteter Arzt an einem Universitätsklinikum – auch Amtsträger i.S.d. §§ 331 ff. StGB ist, wird der Anwendungsbereich der §§ 331 ff. StGB nicht berührt. Der Begründung des Kabinettsentwurfs ist eine auch insoweit bestehende Spezialität jedenfalls nicht zu entnehmen. Eine Privilegierung der im medizinischen Bereich tätigen Amtsträger im Sinne einer Straflosigkeit der bloßen Vorteilsnahme würde nicht dem Sinn des Kabinett-entwurfs entsprechen. Soweit sich daher die Anwendungs-bereiche beider Normkomplexe überschneiden, führt dies konkurrenzrechtlich zur Annahme von Tateinheit.

E. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen

Mit dem Kabinettsentwurf zur Neuregelung der Korrup-tion im Gesundheitswesen hat die Bundesregierung eine

Gesetzesvorlage geliefert, die insgesamt Maß hält, sich aber in die aktuelle Tendenz zur Expansion des Korrup-tionsstrafrechts einfügt.47 Die in der Entscheidung des Großen Senats offenbar gewordenen Lücken werden geschlossen. Die betroffenen Berufsgruppen könnten ih-rerseits – das Inkrafttreten des Entwurfs vorausgesetzt – mit der entsprechenden Regelung leben. Der Gesetz-geber hat sich gut vertretbar dagegen entschieden, im neuen Recht der Bestechung im Gesundheitswesen die recht niedrigen Strafbarkeitsschwellen der Vorteilsnahme bei Amtsträgern zu normieren. Eine erste grundlegende Schwäche des Entwurfs liegt in der Entscheidung für ein doppeltes Rechtsgut. Dies bringt Unschärfe in die Rechts-auslegung und lässt rechtstatsächlich die – möglicher-weise zu frühe – Annahme eines Anfangsverdachts im Einzelfall befürchten.

Eine weitere Schwäche liegt i.d.F. des Tatbestands selbst. Die Entwurfsverfasser sind ersichtlich an ganz konkreten kriminologisch strafwürdigen Erscheinungsformen von Korruption orientiert und bemüht, alle Strafbarkeitslücken zu schließen. Die einzelnen Tatbestandsalternativen selbst sind unnötig kompliziert geraten. Die inhaltlichen Differen-zierungen zwischen dem Bezug von Heilmitteln einerseits und der Verordnung bzw. Abgabe andererseits müssen hinterfragt werden. Die Einordnung im Kernstrafrecht ist angesichts der Vorentscheidung zur Umgruppierung der allgemeinen Bestechung im Geschäftsverkehr in das StGB und der Bezüge zu verschiedenen Normen aus Medizin- und Sozialrecht plausibel.

Die Kombination eines originären wettbewerblichen An-satzes mit einem berufsrechtlichen Ansatz stellt bis dato ein korruptionsstrafrechtliches Unikum dar. Die Vorstel-lung, mit dem Bezug auf die einzelnen Berufsordnungen eine größere Rechtssicherheit zu erreichen, dürfte kaum zutreffen.48 Der mit dem Kabinettsentwurf verbundene Versuch, durch prozedurale Lösungen zu mehr Rechtssi-cherheit zu gelangen, ist tendenziell richtig, im Ergebnis aber halbherzig und mit einem unnötigen Eingriff in das Prinzip der Gewaltenteilung verbunden. Die hier vorge-schlagene Lösung einer vorherigen Anzeige bei der Staats-anwaltschaft oder einer administrativ verorteten Prüfstelle findet Entsprechungen in anderen Bereichen und wäre in-soweit nicht ungewöhnlich.

46 BT-Drs. 18/6446, S. 1, 33.47 Zur aktuellen Reform des Korruptionsstrafrechts siehe etwa BT-Drs.

18/4350 und 18/6389 und im Übrigen nur Dann, NJW 2016, 203.48 Siehe dazu die von Wigge, NZS 2015, 447, 451 noch zum Referenten-

entwurf angeführten Beispiele.

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BÜCHERSCHAU

Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen ArbeitsrechtHerausgegeben von Martin Franzen, Inken Gallner und Hartmut OetkerC.H. Beck, 2016, 2.107 Seiten, gebunden, 199,00 €, ISBN 978-3-406-67296-5

PräsLAG a.D. Dr. Peter Bader

Das Recht der Europäischen Union prägt das Arbeitsrecht der Mitgliedsstaaten maßgebend, also auch das deutsche Arbeitsrecht. Daher ist es wesentlich, eine systematische Kommentierung der für das Arbeitsrecht in besonderem Maße relevanten Rechtstexte des europäischen Rechts einschließlich der für das Arbeitsrecht ebenfalls bedeutsa-men Europäischen Menschenrechtskonvention an der Hand zu haben, wie sie das nun neu vorgelegte Werk in einem Band bietet. Es erscheinen darin zunächst die einschlägigen Bestimmungen des EUV (Art. 6) sowie des AEUV (einschl. Art. 267 betreffend das Vorabentscheidungsverfahren und Art. 288 zu den Rechtsakten der Union), der Europäischen Grundrechte-Charta, der Europäischen Sozialcharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Daran schließen sich fünf Verordnungen an, darunter die Brüssel Ia-VO (EU) Nr. 1215/2012, die im Wesentlichen ab dem 10.01.2015 gilt. Es folgen chronologisch geordnet 26 Richtlinien, von A wie Arbeitszeit-Richtlinie bis Z wie Zusatzrenten-Richtlinie, mit ihren eingangs wiedergegebenen Erwägungsgründen.

Die Herausgeberin und die Herausgeber bürgen ebenso für hervorragende Qualität wie der Kreis der insgesamt 21 Kommentatorinnen und Kommentatoren aus Deutschland und Österreich: renommierte Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, aus der Anwaltschaft, aus der Verwal-tungspraxis und aus der Gerichtspraxis (vier Richterinnen bzw. Richter des BAG).

Die einzelnen Beiträge zeichnen sich durch überzeugende Strukturierung und präzise Darstellung aus. Dabei werden re-gelmäßig die systematische Einbettung und historische Ent-wicklungen in den Blick genommen, die Rechtsprechung des EuGH wird sorgfältig ausgewertet und gewürdigt, und die Auswirkungen auf das nationale Recht bzw. die Umsetzung in nationales Recht werden im Detail dargestellt, einschließ-lich zentraler nationaler Rechtsprechung (speziell des BAG und des BVerfG). Ein sehr zuverlässiges Stichwortverzeichnis erleichtert für Einzelfragen den Zugriff, etwa wenn es um den keineswegs einheitlichen Arbeitnehmerbegriff (einschließlich der Einordnung des Fremdgeschäftsführers), die Gewährung von Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen oder die Altersdiskriminierung geht.

Für alle, die sich mit europarechtlichen Bezügen des Ar-beitsrechts zu befassen haben, ist das Zurückgreifen auf den Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht (EUArbR)

ein Muss. Das neue Werk, das in exzellenter Weise eine Lücke in der juristischen Literatur schließt, darf in keiner arbeitsrechtlichen Bibliothek fehlen.

Gräber, Finanzgerichtsordnung mit Nebengesetzen, KommentarBegründet von Fritz Gräber, bearbeitet von Ulrich Herbert, Dr. Christian Levedag, Dr. Eckart Ratschow und Prof. Dr. Thomas Stapperfend C.H. Beck, 8. Aufl. 2015, 1.655 Seiten, gebunden, 149,00 €, ISBN 978-3-406-67345-0

VRiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel

Der bewährte Standard-Kommentar zur FGO präsentiert sich in der 8. Auflage nicht nur äußerlich in einem etwas größeren, dafür schlankeren Format als die Vorauflagen. Auch im Kreis der Bearbeiter hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Nach dem Ausscheiden von drei langjähren Kommentatoren und Hinzukommen eines neuen wird das Werk nunmehr von vier ausgewiesenen Experten neu bearbeitet, die wie bisher aus der Finanzgerichtsbarkeit kommen. In der Sache wird – wie seit der 1. Auflage des Gräber – die Darstellung der Rechtsprechung und Auseinandersetzung mit anderen Lite-raturmeinungen durch die eigene Stellungnahme des jewei-ligen Kommentators ergänzt – stets mit Blick auf die Praxis.

Seit der 7. Auflage aus dem Jahr 2010 haben sich viele Neuerungen ergeben. Mit der 8. Auflage wurden aber zahl-reiche Kommentierungen nicht nur aktualisiert, sondern grundlegend umstrukturiert und überarbeitet; alte Passa-gen entfielen, neue kamen hinzu. Änderungen ergaben sich etwa im Kosten- sowie Prozesskostenhilferecht. Kommen-tiert sind auch die Neuregelungen zur Förderung des elekt-ronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (Änderung von §§ 52a, 52b FGO sowie Einfügung von § 52d FGO).

Adressaten des Gräber sind neben Finanzgerichten alle die-jenigen, die die prozessualen Klippen zur gerichtlichen Wah-rung ihrer Rechte im Steuerrecht zu nehmen haben, v.a. also Steuerberater, Fachanwälte für Steuerrecht und die Finanz-verwaltung. Wertvoll ist das Werk aber auch für Rechtsrefe-rendare und Steuerrechtsstudenten für die Fallbearbeitung.

Die gesamte FGO wird in dem handlichen Band von gut 1.600 Seiten durchgängig verständlich und praxisnah erläutert, dies unter Berücksichtigung auch der korrespondierenden bzw. pa-rallelen Regelungen von GVG, ZPO, VwGO, SGG und anderer Nebengesetze. Viele dieser Normen werden an relevanter Stel-le wiedergegeben, was für den Nutzer sehr hilfreich ist.

Der Gräber ist ein Klassiker des Prozessrechts der Finanzge-richte, der gerade in der nunmehr vorliegenden 8. Auflage eine zeitgemäße Prozessführung optimal unterstützt.

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Die Monatszeitschrift

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DIE AUTOREN

IMPRESSUM

Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, KasselVors. Richterin am BFH Prof.Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, SaarbrückenRechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg

Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, LembergRechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, HomburgVizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, LeipzigProf. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG a. D. Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen

Redaktion: Rechtsanwalt Daniel Schumacher, stv. Ass. iur. Sebastian Butschkau

Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected]äftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsit-zender: Ministerialdirektor a.D. Gerrit Stein

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt einge-sendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das aus -schließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektro -nischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung onlineoder offline ohne zusätzliche Vergütung.

Urheber-und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrecht -lich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, so-weit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertra-gung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt

Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl.Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wo-chen vor Jahresende gekündigt wird.

Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag

Satz: Datagroup Int., Timisoara

Druck: L.N. Schaffrath GmbH &Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern

ISSN: 2197-5345

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Studium der Forstwirtschaft an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (Dipl.-Ing. (FH)), post-graduales Masterstudium des Energiemanagements an der Uni-versität Koblenz-Landau (M.Sc.) und postgraduales Masterstudi-um Wirtschaftsrecht für die Unter-

nehmenspraxis an der Universität des Saarlandes (LL.M.). Frau Kay war als wissenschaftliche Mitarbeiterin der IZES gGmbH – Institut für ZukunftsEnergieSysteme –, Saarbrücken im Bereich des kommunalen Klimaschutzes tätig. Derzeit befasst sie sich als Doktorandin am Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften, Agroscope in Zürich mit der Modellierung von Ökosystemdienst-leistungen in Agroforstsystemen.

Sonja Kay, LL.M., M.Sc.

Richter am Bundesverwaltungs-gericht

Seit 2000 Richter am Bundes-verwaltungsgericht, dort stell-vertretender Vorsitzender des 1. Revisionssenats. Zudem Honorar-professor an der Universität Jena. Herr Dörig ist Autor zahlreicher verwaltungsrechtlicher Publikatio-

nen im In- und Ausland, u.a. zum Ausländer- und Asylrecht, Um-weltrecht, Hochschulrecht und Verwaltungsverfahrensrecht. Der jM ist er als Mitglied des Expertengremiums verbunden.

Prof. Dr. Harald Dörig

Professor an der Universität des Saarlandes

Autor verschiedener Monogra-phien und Beiträge mit Schwer-punkt im Wirtschaftsstrafrecht und europäischen Strafrecht. 2010 Habilitation im Deutschen und Europäischen Strafrecht und Strafprozessrecht. 2013 Ernen-nung zum Ordinarius für Straf-

recht und Strafprozessrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht durch die Universität des Saarlandes. Beratung von Unterneh-men zu Fragen der Unternehmensverteidigung und der Präven-tion.

Prof. Dr. Marco Mansdörfer

Vorsitzender Richter am Landes-arbeitsgericht

Reinhard Schinz war zunächst als Staatsanwalt tätig, ab 1986 Rich-ter am Arbeitsgericht und seit 1994 Vorsitzender Richter am Landesar-beitsgericht Berlin-Brandenburg. Lehraufträge an den Universitäten Potsdam und Kopenhagen. Er lehrt an der Universität Lund (Schwe-

den), die ihm die Ehrendoktorwürde verliehen hat. Prüfer beim Justizprüfungsamt Berlin-Brandenburg. Seit vielen Jahren Dozent in der Fachanwaltsaus- und fortbildung, Vorsitzender verschiede-ner ständiger Schiedsstellen sowie Einigungsstellen nach dem Be-trVG. Co-Autor im HWK-Arbeitsrechtkommentar und Hümmerich, Arbeitsrechtliches Mandat.

Reinhard Schinz

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2016

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NEUES VON juris

NEUAUFLAGE juris PraxisKommentar SGB V

Bandherausgeber:

Dr. Klaus Engelmann, Vorsitzender Richter am Bundes-sozialgericht a. D., Kassel, und Prof. Dr. Rainer Schle-gel, Vizepräsident des Bundessozialgerichts, Kassel

Obwohl bereits vielfach reformiert, kommen auf die gesetzliche Krankenversicherung auch künftig große finanzielle und organisatorische Herausforderungen zu. Die große Zahl an Entscheidungen und die Viel-zahl gesetzlicher Änderungen prägen auch zukünftig ein sich ständig entwickelndes Rechtsgebiet. Als Stan-dardwerk bietet der juris PraxisKommentar SGB V eine umfassende und stets aktuelle Erläuterung der Vorschriften des Rechts der Gesetzlichen Krankenver-sicherung (GKV). Über 1.650 in der 2. Auflage enthal-tene Online-Aktualisierungshinweise zur Gesetzge-bung und Rechtsprechung des SGB V wurden in die Neuauflage 2016 des vielfach zitierten Kommentars eingearbeitet.

Der Kommentar berücksichtigt in der Neuauflage be-reits u. a. folgende Gesetze aus dem Jahr 2015:

GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) Präventionsgesetz (PräVG)

Im Mittelpunkt stehen:

Versicherungspflicht (einschließlich des versicherten Personenkreises) gesetzliche Leistungsansprüche Recht der Leistungserbringer (Vertragsarztrecht) Organisationsrecht der gesetzlichen Krankenkassen

sowie deren Finanzierung

Stand der gedruckten Fassung:

Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzli-chen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstär-kungsgesetz) v. 16.07.2015 – BGBl. I 2015, 1211 Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung

und der Prävention (Präventionsgesetz-PrävG) v. 17.07.2015 – BGBl. I 2015, 1368

Mehr unter: www.juris.de/sgbv

juris Webinare

Infos zum Ablauf und zur Anmeldung unter: www.juris.de/webinare

Basis I Einführung in die juris Recherche

18.05.2016, 11:00 – 12:00 Uhr

Basis II Personalisierungsfunktionen

25.05.2016, 11:00 – 12:00 Uhr

Fortgeschrittenen-Webinar

12.05.2016, 10:00 – 11:00 Uhr

Normen-Webinar

19.05.2016, 14:00 – 15:00 Uhr

juris Informationsforen

Weitere aktuelle Termine finden Sie online unter: www.juris.de/veranstaltungen

Informationsforum Schwerin

11.05.2016

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Die Monatszeitschrift

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Die Monatszeitschrift

NEUES VON juris

juris auf dem DAT

In Berlin findet vom 01. bis 03. Juni 2016 der Deutsche Anwaltstag unter dem Motto „Wenn das Strafrecht alles richten soll – Ultima ratio oder Aktionismus?“ statt. Auf der dazu gehörigen Büro-Fachausstellung AdvoTec wird juris an Stand B37 seine Neuheiten präsentieren. Darunter die juris PartnerModule Insol-venzrecht, Kartellrecht, Umweltrecht und Sozialrecht premium, die einzigartigen juris Lex-Gesetzessamm-lungen und die juris Formulare.

Die passenden Gesetze zum diesjährigen DAT finden Sie in der kostenlosen juris Web-App (HTML-5-App). Der Download ist direkt über die juris Startseite ab Mitte Mai möglich.

Vorbeischauen lohnt sich!

Alle Rechtsprofessionals erhalten direkt am Stand 10 % Messerabatt auf alle Online-Produkte im 1. Bezugsjahr (gilt nicht für bereits rabattierte Ange-bote).

Ausschreibung des Dieter-Meurer-Förderpreises Rechtsinformatik 2016

Der Deutsche EDV-Gerichtstag schreibt in diesem Jahr den „Dieter-Meurer-Förderpreis Rechtsinformatik“ erstmals öffentlich aus. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis prämiert Leistungen, die rechtliche Aufgaben und das Methodenpotenzial der Informatik zusam-menführen. Einsendeschluss ist der 15. Juli 2016. Verliehen wird der Preis im Rahmen des Deutschen EDV-Gerichtstags, der vom 21. bis 23. September zum 25. Mal auf dem Saarbrücker Uni-Campus stattfindet.

Mit rund 700 Besuchern ist der Deutsche EDV-Ge-richtstag in Saarbrücken der größte juristische Fach-kongress seiner Art in Deutschland. Im Rahmen des Kongresses vergeben der Deutsche EDV-Gerichtstag e.V. und die juris GmbH seit 2003 den „Dieter-Meurer-Förderpreis Rechtsinformatik“. Ausgezeichnet wird eine herausragende Leistung auf dem Gebiet der Rechtsinformatik. Sie kann im juristischen Bereich oder in der Informationstechnologie angesiedelt sein oder sich organisatorischen Aufgaben in der Praxis widmen.

Gerichte, Anwälte, Notare, Verwaltungen und universitäre Einrichtungen können potenzielle Preisträger nominieren, es können aber auch ei-gene Bewerbungen eingereicht werden.

Bewerbungen sind bis zum 15. Juli 2016 zu senden an: Deutscher EDV-Gerichtstag e.V., Prof. Dr. Stephan Ory, Universität des Saarlandes, Geb. 30 (Starter-zentrum II), 66123 Saarbrücken oder per E-Mail an: [email protected]

Weitere Informationen zum Preis und zum EDV-Ge-richtstag finden Sie auf der neuen Internetseite des gemeinnützigen Vereins: www.edvgt.de

IN EIGENER SACHE: jM-Leserbefragung

Ihre Meinung ist gefragt! Seit zwei Jahren infor-miert Sie die jM aktuell, konzentriert und auf hohem Niveau. Wir haben bereits viele Rückmeldungen er-halten, jetzt wollen wir es genauer wissen. Wie inten-siv lesen Sie die Zeitschrift, was gefällt Ihnen und was können wir besser machen? Die Teilnahme nimmt nur 10 Minuten Ihrer Zeit in Anspruch und hilft uns, noch besser zu werden. Selbstverständlich werden Ihre An-gaben anonym ausgewertet. Für Ihre Teilnahme winkt ein attraktiver Preis: Wir verlosen unter allen Teilneh-mern einen Kindle, bestückt mit juris Lex, der neuen Gesetzesbibliothek mit kostenlosem Aktualisierungs-check. Machen Sie mit unter: www.juris.de/Leserbefragung

Auf jeden Fall bedanken wir uns schon jetzt für Ihre Teilnahme.

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Kommentierte Schriftsatz- und Vertragsmuster, Checklisten und Textbau-steine online abrufbar und ständig aktualisiert um neue Rechtsprechung und Normen! Komfortabel verlinkt mit der juris Datenbank – Ihre ideale Unterstützung bei der Fallbearbeitung. Sie möchten Zeit und Geld sparen? Informieren Sie sich unter

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Jetzt neu!

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www.juris.de/sgbiv

Mit 5. SGB-IV-ÄndG!

Die Online-Neuauflage mit Rechtsstand Januar 2016 berücksichtigt neben dem 5. SGB-IV-ÄndG auch die 10. Zuständigkeitsanpassungs-verordnung vom 31.08.2015 sowie das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20.11.2015. Durch die zeitnahe und kontinuierliche Online-Aktualisierung des Kommentars behalten Sie die weiteren Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur immer im Blick.

NEU: 3. Auflage online

SGB IVGemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung

juris PraxisKommentarSchlegel | Voelzke

Prof. Dr. Rainer Schlegel

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